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Berlin , den 27.05.1913

Sehr geehrter Herr Doktor!

Eine leichte Erkrankung verhinderte mich, Ihnen bereitsfrüher die beiden Bogen zurückzusenden. Mit der Rücksendung möchte ich gleich einige Fragen verbinden: Zunächst hinsichtlich der Einheitlichkeit der philosophischen Stellungnahme seitens des Vortragenden. Obgleich ich den Eindruck hatte, als ob in Ihrem engeren Kreise die deutsche „Identitätsphilosophie“ durchaus zugrunde gelegt wird, schienen mir im einzelnen doch recht erhebliche Divergenzen zu bestehen, sodaß hie und da vielleicht sogar ein etwas konservativer Kantianismus erkennbar wurde. Infolge dieser Unsicherheit über Ihre „philosophische Richtung“ weiß ich nicht,was Sie wünschen: Soll der Vortrag in seinen wesentlichen Zügeneine Beantwortung des gestellten Problems nach den Grundprinzipien der „Identitätsphilosophie“ (?), verbunden mit einer kritischen Behandlung dieser Beantwortung seitens desjeweiligen Vortragenden, oder vielmehr eine um die Identitätsphilosophie unbekümmerte Stellungsnahme zum Problem,verbunden mit einer die „Identitätsphilosophie“ in erster Linie berücksichtigenden historisch-systematischen Darstellung, enthalten? Das erste entspräche wohl weit mehr dem Postulat der Einheitlichkeit des Abends, das zweite meinen persönlichen Intentionen, die ich aber selbstverständlich im Interesse der Sache hintanstellen würde, wenn das für erforderlich gehalten werden sollte. Die weitere Frage betrifft das religiöse Problem. Im vorigen Winter und bei unserer Unterhaltung am Sonnabend | schien es mir so, als ob der Sinn dieser Abende der wäre, Klarheit zu verbreiten über die innere Brüchigkeit des schlechten Subjektivismus und aufzufordern zu einem Leben gemäß der Postulate eines irgendwie gearteten, objektive Werte anerkennenden „Idealismus“, dessen Wesenszüge derart gemeinschaftliches Nachsinnen und einsames Philosophieren festzustellen wäre. Die Lektüre der beiden Bogen und die Erinnerungan dieses oder jenes Wort in Ihrem Kreise weckte bei mirein Bedenken. Ist das offizielle oder offiziöse Programm der Abende vielleicht nicht nur ein idealistisches überhaupt, sondern ein spezifisch christlich-religiöses? Soll nicht nur Teilnahme am Leben der „religiösen Gemeinde überhaupt“ (im Sinne einer idealistisch eingestellten Kulturgemeinschaft mit religiösen „Endabsichten“), sondern Teilnahme am Leben der historisch gewordenen, christlichen Gemeinde gefordert werden? Ich erwähne dies Bedenken nur, weil es für mich naturgemäß von durchaus prinzipieller Bedeutung ist. In Wahrheit glaube ich ja schon eine mich befriedigende Antwort darin erblikken zu dürfen, daß Sie in meiner – Ihnen vom Winter her ja wohl bekannten – Stellungnahme zum Christusproblem und meiner Eigenschaft als Jude keine Hinderungsgründe für meine Mitarbeit erblicken. Da es jedoch für mich natürlich ganz ¿¿¿ ist, als dienendes Glied einer praktisch-christlichen Gemeinschafttätig zu sein oder auch nur zu scheinen (sie es infolge des Progr.Programm oder der maßgeblichen Mitteilungen über die Abende), so bitte ich Sie mir meine Bedenken nicht zu verargen und mir absolute Klarheit über diesen Punkt zu verschaffen. Schließlich noch eine spezielle Frage: Was soll unter dem Titel „Relativität des Staatlichen“ behandelt werden? Der Ausdruck ist gar zu vieldeutig. Falls Sie keine geeignete Persönlichkeit für den Vortrag überdas Gemeinschaftsleben finden, wäre der von mir genannte Dr. I bereit, den Vortrag zu halten.

Mit ergebenstem Gruß!
F. Caro
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