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Schloss Mainberg , den 17.05.1913

Lieber Herr Tillich,

Die obige Adresse sagt Ihnen, daß ich nicht in Berlin bin und vielleicht verrät sie Ihnen auch, warum ich auf Ihren lieben Brief der hier vor mir liegt noch nicht geantwortet habe. nun erstens weil es mir selber nicht gut ging. ich war müde nervös, steckte in allerlei Conflicten und fühlte | mich weder befähigt noch selber in mir klar genug Andern zu raten und zu helfen. Das was ich im Scherz sagte, ich suche ein wesentlicheres Leben, dahinter verbargen sich doch allerlei Conflicte und da habe ich mich kurz entschlossen und bin seit einigen Tagen hier auf Schloss Mainberg bei Johannes Müller und hierher habe ich Ihren Brief mitgenommen und hier unter ganz anderen Verhältnissen in einer einfachen, schlichten und sehr freundlichen und freudigen Umgebung lese ich ihn wieder und nun möchte ich Ihnen das Eine | raten, kommen Sie hierher, tanzen Sie mit den fröhlichen Mädels, wandern Sie ein Wenig mit mir durch die frühlingsfrischen Wälder und nehmen Sie das Leben einmal ganz einfach wie ein Kind und lieber Herr Tillich nehmen Sie sich selber nicht so wichtig und Ihr Martyrium nicht so wichtig, seien Sie bitte nicht böse daß ich das so sage, aber je mehr man sich als eingereiht empfindet und als garnichts Aussergewöhnliches um so mehr empfindet man die Anderen als Aussergewöhnliche und alles Leben des Wunders voll nehmen Sie sich selber recht einfach dann erscheint Ihnen | viel leichter u.und erschliesst sich Ihnen viel leichter ein Wunderkind von Tiefe und Phantasie in einem scheinbar schlichten Mädel und dann müssen Sie noch eins bedenken, daß bei uns Frauen eben alles Innerlichste u.und Beste erst durch die Liebe ausgelöst wird. Was wollen Sie von einer Mädchen-Knospe verlangen, die noch nicht leben lernte. Sie schreiben Sie wollten nicht herabziehen u.und berauben, wo Sie lieben, nun ist denn das nötig machen Sie das andere Leben so reich daß es gesteigert u.und erfüllt wird sei es auch nur für nicht lange Zeit, wir werden ja doch auch gesteigert durch Leid. Aber ich kann über das Alles so schlecht | schreiben. Sie sagten mir Sie seien Anfang Juni in Berlin. Dann bin ich auch dort, bitte klingeln Sie dann an, dann können wir verabreden Wann Sie zu mir kommen und dann erzähle ich Ihnen von hier u.und von Johannes Müller der freilich ein ganz einfacher schlichter Mensch ist Aber ein guter Berater u.und Freund sein kann, er wird Ihnen helfen. Müller verreist Sonntag für einige Tage, sonst würde ich sagen, kommen Sie sofort hierher, aber auch trotzdem wenn Sie noch nicht in Butterfelde sind kommen Sie, wir wollen wandern aber bringen Sie ja keine Bücher mit | ich habe das Goethe-Simmelbuch hier das genügt, mit seiner wundervollen Weisheit, und wenn Sie jetzt nicht kommen können so verabreden wir für den späten Sommer, wann Sie hierher kommen. Mainberg liegt bei Schweinfurth, Unterfranken. Also auf Wiedersehen hier oder in Berlin aber hoffentlich hier.

Herzlichen Gruss
Helene Bulle
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