Der editierte Text

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a, d. 17. Mai
Lieber Herr b.

Die obige Adresse sagt Ihnen, daß ich nicht in c bin und vielleicht verrät sie Ihnen auch, warum ich auf Ihren lieben Brief der hier vor mir liegt noch nicht geantwortet habe. nun erstens weil es mir selber nicht gut ging. ich war müde nervös, steckte in allerlei Conflicten und fühlte | mich weder befähigt noch selber in mir klar genug Andern zu raten und zu helfen. Das was ich im Scherz sagte, ich suche ein wesentlicheres Leben, dahinter verbargen sich doch allerlei Conflicte und da habe ich mich kurz entschlossen und bin seit einigen Tagen hier auf d bei e und hierher habe ich Ihren Brief1 mitgenommen und hier unter ganz anderen Verhältnissen in einer einfachen, schlichten und sehr freundlichen und freudigen Umgebung lese ich ihn wieder und nun möchte ich Ihnen das Eine | raten, kommen Sie hierher, tanzen Sie mit den fröhlichen Mädels, wandern Sie ein Wenig mit mir durch die frühlingsfrischen Wälder und nehmen Sie das Leben einmal ganz einfach wie ein Kind und lieber Herr f nehmen Sie sich selber nicht so wichtig und Ihr Martyrium nicht so wichtig, seien Sie bitte nicht böse daß ich das so sage, aber je mehr man sich als eingereiht empfindet und als garnichts Aussergewöhnliches um so mehr empfindet man die Anderen als Aussergewöhnliche und alles Leben des Wunders voll nehmen Sie sich selber recht einfach dann erscheint Ihnen | viel leichter u. erschliesst sich Ihnen viel leichter ein Wunderkind von Tiefe und Phantasie in einem scheinbar schlichten Mädel und dann müssen Sie noch eins bedenken, daß bei uns Frauen eben alles Innerlichste u. Beste erst durch die Liebe ausgelöst wird. Was wollen Sie von einer Mädchen-Knospe verlangen, die noch nicht leben lernte. Sie schreiben Sie wollten nicht herabziehen u. berauben, wo Sie lieben, nun ist denn das nötig machen Sie das andere Leben so reich daß es gesteigert u. erfüllt wird es sei sei es auch nur für nicht lange Zeit, wir werden ja doch auch gesteigert durch Leid. Aber ich kann über das Alles so schlecht | schreiben. Sie sagten mir Sie seien Anfang Juni in g. Dann bin ich auch dort, bitte klingeln Sie dann an, dann können wir verabreden Wann Sie zu mir kommen und dann erzähle ich Ihnen von hier u. von h der freilich ein ganz einfacher schlichter Mensch ist Aber ein guter Berater u. Freund sein kann, er wird Ihnen helfen. i verreist Sonntag für einige Tage, sonst würde ich sagen, kommen Sie sofort hierher, aber auch trotzdem wenn Sie noch nicht in Butterfelde sind kommen Sie, wir wollen wandern aber bringen Sie ja keine Bücher mit | ich habe das j hier das genügt, mit seiner wundervollen Weisheit, und wenn Sie jetzt nicht kommen können so verabreden wir für den späten Sommer, wann Sie hierher kommen. k liegt bei l, Unterfranken. Also auf Wiedersehen hier oder in m aber hoffentlich hier.

Herzlichen Gruss
n

Fußnoten, Anmerkungen

1Nicht überliefert.

Register

aMainberg
bTillich, Paul
cBerlin
dMainberg
eMüller, Johannes
fTillich, Paul
gBerlin
hMüller, Johannes
iMüller, Johannes
jSimmel, Goethe, 1913
kMainberg
lSchweinfurth
mBerlin
nBulle, Helene

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974, bMS 649/127
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Schloss Mainberg - unbekannt
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Helene Bulle an Paul Tillich vom 3. Juni 1913

Entitäten

Personen

Orte

Literatur

Zitiervorschlag

Brief von Helene Bulle an Paul Tillich vom 17. Mai 1913, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00329.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L00329.pdf