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Bremen , den 10. Mai 1913 Hansastr 43.

Aber lieber Paul!

Warum hast Du mir zur Verlobung einen solch traurigen Brief geschrieben? Alter Junge, so darf es nicht bleiben; in Cassel warst Du doch nicht so resigniert; wenn ich Dir doch ein wenig Mut machen und Dir von meiner Freude ein wenig abgeben könnte! Wie gerne täte ich‘s, es bliebe immer noch genug übrig! Eigentlich wollte ich Dir sofort antworten, hatte schon eine Stunde angesetzt, wo ich auf das Zusammensein mit meiner | Adelheid verzichten wollte, um an Dich zu schreiben; da wurde ich gestört im Kloster durch einen der Kandidaten, der in Verlobungsnöten steckte und mir die ganze Zeit damit wegnahm; dann fand sich leider keine Zeit mehr, denn die freien Stunden waren gar spärlich u. und mußten deshalb alle meiner Adelheid gehören; ich denke Du wirst das verstehen, auch wenn Du nicht in meiner glücklichen Lage bist. Seit gestern sind wir nun zum ersten Mal seit der Verlobung - genau zwei Monate sahen wir uns täglich! - getrennt, und der erste Tag hier an meinem neuen Platz am Bremer Diakonissenhaus soll doch nicht hingehen, ohne daß ich wenigstens angefangen habe, an Dich zu schreiben; viel kanns nicht mehr werden, da es schon spät ist, und ich noch meine Predigt z.T. zum Teil memorieren muß.

My dear! Du hast natürlich recht mit der großen Blindheit, die über einen kommt, wenn man so was erlebt; man sieht freilich alles in einem ganz andern Lichte, ja man kann noch viel mehr sagen, man wird geradezu ein ganz neuer Mensch. Die Frage ist nur, wo die Blindheit liegt, ob vor oder nach solch einem Erlebnis; das eine ist jedenfalls sicher, man darf den Kopf vor Glück u. und Freude hoch in den Himmel hinaufrecken und bleibt doch mit beiden Füßen auf der Erde. Wenn Du | jetzt noch nicht die freudige Hoffnung hast, daß über Dich auch mal jene große "Blindheit" komme, so laß mich das um so fester für Dich glauben u. und hoffen. Es ist noch garnicht lange her, da dachte ich auch noch gar oft, es könne nicht Wirklichkeit werden, es sei viel zu groß, zu schön, u. und eigentlich ist es bis heute viel zu groß u. und schön, um Wirklichkeit zu sein, und doch ist‘s Wahrheit u. und täglich müht man sich auf‘s neue, das Wunder zu fassen. Also es kommt, glaub mir: gewiß kommt es; ¿¿¿ ... ¿¿¿ zu äußerlich sein, ein Wagnis ist‘s u. und bleibt es stets, aber man muß wagen, und man darf auch wagen, man macht‘s ja nicht allein; und wenn ich auch sonst nicht für der sacrificium intellectus bin, ein Stück davon wird hier wohl nötigsein, und es kommt doch alles zum guten Ende. Ach wenn ich Dir doch von meiner Zuversicht ein wenig abgeben könnte! Nur keine Resignation; ich meine es sei nicht ganz recht, wenn Dein Brief wirklich den ganzen Inhalt Deines Herzens | mir erschloß! Hat der, der Dein Leben so wie es ist Dir gab, wirklich das um Dich verdient? Ich möchte wünschen u. und hoffen, was Du mir schriebst, war nur die eine Seite Deines Innern, dann verstehe ich sie sehr gut, habe auch etwas davon kennengelernt; vielleicht kann Dein nächster Gruß mir auch von der andern Seite ein wenig berichten! Gern würde ich Dir noch ein wenig von unserem Glück berichten, doch ich möchte Dich nicht noch trauriger machen; auch wirst Du Einiges im Rundbrief finden So lebe wohl für diesmal! Hoffentlich kam die Pariser-Reise- Schilderung noch rechtzeitig; ich war verreist, als Dein Gruß kam. Hast Du wohl unser beider Bild erhalten?

Hier habe ich viel zu tun im Diakonissenhaus; vertrete meinen Onkel in Predigt, Bibelstunde, Andachten, Schwesternabenden usw. Nebenbei suche ich nach einer kleinen Landpfarre u. und hoffe bald ein eignes Nest bauen zu können, dann mußt Du wohl oft bei uns warmwerden!

Von Herzen Dein tr. treuer
Hans.
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