Der editierte Text

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a bei Nordhausen (Harz), den 6.5.1913.
Lieber b!

Nun muß ich Ihnen doch mal schreiben, wie es mir geht. Vielleicht haben Sie schon durch c oder d Näheres gehört. e schrieb mir, daß neulich eine Partie war. Ich fühle mich hier sehr wohl. Ich bin doch recht froh darüber, daß ich mich so gut hier einleben kann. Pastors sind von Herzen liebenswürdige Menschen. Unter ihnen kann man sich bald heimisch fühlen. Meine Kinder sind auch sehr nette kleine Kerle, die mir alle vier schon sehr | lieb sind. Darum war mir eigentlich auch nicht bange. Denn alles, womit man sich viel beschäftigt, wird einem lieb. Der Kleinste, neun Jahre alt, würde Ihnen sicher auch Freude machen durch seine reizende Harmlosigkeit. Schule und Schularbeiten sind ihm natürlich sehr peinliche Dinge. Eigentlich müßte ich doch in seinen Augen ein sehr überflüssiges Möbel sein. Doch so logisch sind Kinder nicht. So bin ich mit allen Vieren gut Freund. Ich schreibe Ihnen das so und es ist Ihnen vielleicht mächtig gleichgültig. Vielleicht erwarten Sie, daß ich Ihnen | schreibe, wie ich mit f oder g fertig werde. Davon kann ich Ihnen nun aber gar nichts schreiben. Denn ich lese weder h noch i noch sonst etwas, was irgendein kluger Mann geschrieben hat. Ziehen Sie, bitte, die Stirn nicht zu kraus! – Einmal macht sich jetzt bei mir ein großer Widerwille gegen Bücher überhaupt bemerkbar. Vorläufig kämpfe ich auch nicht im geringsten gegen diese Abneigung. Denn die Bücher laufen nicht weg, was aber vergeht, das ist der Frühling. Ich bin ganz begeistert. Zum erstenmal [sic!] erlebe ich den Frühling draußen. | Und ich erlebe ihn wirklich. In dem freien Augenblick bin ich draußen. Ich fange ordentlich mal an aufzuleben. Ach, j, wenn Sie jetzt immer draußen wären, würden Sie sich gewiß nicht mehr als „alter Mann“ fühlen. Ich glaube, jeder muß beim Anblick solcher Herrlichkeiten und Schönheiten froher werden. – Denken Sie aber nicht etwa, daß ich backfischmäßig schwärme. Dazu bin ich nicht veranlagt. Auch lerne ich jetzt wirklich mehr vom Leben kennen, habe auch, trotzdem ich mich hier wohlfühle, mancherlei Schwierigkeiten zu überwinden. Aber davon schreibt man besser nichts.

Es grüßt Sie schön
Ihre k.

Fußnoten, Anmerkungen

Register

aHarz
bTillich, Paul
cHirsch, Hans S.
d???, Fritz
e???, Mutter
fPaulsen, Friedrich
gWundt, Max
hPaulsen, Friedrich
iWundt, Max
jTillich, Paul
kHirsch, Maria

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974, bMS 649/152
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Haferungen bei Nordhausen (Harz) - unbekannt
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Maria Hirsch an Paul Tillich vom 7. Juni 1913

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Maria Hirsch an Paul Tillich vom 6. Mai 1913, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00325.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L00325.pdf