Brief von Toni Winkler, Elisabeth, Johanna und Johannes Tillich an Paul Tillich vom 13. Juni 1905

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Berlin 13/6. 05.

Mein lieber Sohn!

Dein Brief vom 9. veranlaßt mich, schon heute an Dich zu schreiben um des teilweise melancholischen Inhalts willen. Oder klingt es nur so? - Ich hoffe, daß Du in diesen Tagen gute Ruhe gepflegt und Dich erholt hast. Es scheint mir, daß es mit Deinen Kräften noch nicht besonders steht, und deshalb möchte ich einige bestimmte Fragen an Dich richten, die ich Dich bitte, genau zu beantworten. 1). Was hat der Arzt über Deine Wunde| geäußert? 2). Verläuft die Heilung anders als hier in Berlin erwartet wurde? 3). Eventuell aus welchen Ursachen? 4). Wie lange wird vermutlich der Heilungsprozeß noch dauern? 5). Wie steht es mit Deinem Gesammtbefinden, fühlst Du Dich noch nicht frisch?

Beantworte mir das alles offen und klar!! Ich habe d. Festarbeit gut überstanden, bin allerdings heute abgespannt. Morgen will ich mit Frl. T. nach Belzig x). Wenn möglich gedenke ich zu Harders Hochzeit zu fahren. Schreibe ihm ein paar Zeilen, die Eben kommt Absage von dort, darum alle nach Hohen-Neuendorf| Du mir zum Mitnehmen schicken kannst (Hochzeit ist am 21.). - Daß Onkel Paul d. Lizentiaten cum laude gemacht hat, wird Dich sehr gefreut haben. Nun findet noch die öffentliche Disputation in Greifswald am 27. statt, bei der ich als Opponent fungieren soll. So liegt noch viel vor bis zur Reise, die am 3 Juli beginnen soll - hast Du schon überlegt, wo ich dort mit Johanna logieren kann? Frage einmal Deine Wirtin; Johanna muß jedenfalls allein schlafen, wenn sie auch bei Tage kein eigenes| Zimmer braucht. Lieb wäre es mir, auch etwas über den Kreis zu erfahren; wir müssen alles möglichst billig einrichten, zumal es ungewiß ist, ob wir den Schluß der Reisezeit in Freiburg verbringen können. Also überlege einmal u. überschlage die Kosten der dortigen Aufenthalte!-

Mit Deinen wissenschaftlichen Ausführungen bin ichmit im großen und ganzen einverstanden. Auch ich will keine Theologie, die in der Luft schwebt. Der wissenschaftliche Platz muß als berechtigt nachgewiesen werden. Aber die Theologie ist doch mehr "gegeben" als das| natürliche "Ich", nämlich das christliche oder wiedergeborene Ich mit seinem eigentümlichen Bewußtseinsinhalt. Gegen diesen Inhalt kann Feuerbach nicht an, weil diesem christlichen Bewußtsein unmittelbare Gewißheit eignet, die eben so reale Tatsache ist wie die unsres Daseins und Lebens überhaupt. Vergl. 1 Cor 2, 9-14.- Gerade das Pfingstfest hat uns wieder an die Tatsache einer göttlichen Geistesmitteilung erinnert, der dann auch der Theologe ihren Inhalt gibt. Ohne dies bliebe die Theologie mir Vernunftspekulation, Geschichte| und Philologie, wie sie das ja zum Teil bei den Modernen geworden ist.- Doch genug davon: Eben ist Johanna aus Ruppin zurückgekehrt. Gott behüte Dich. Schreibe zum Sonnabend!

Dein tr. Vater

Lieber Paul!

besten Dank für Deinen Brief, von dem ich ja allerdings nur die Hälfte verstanden. Denkst Du auch an Elisabeth's Geburtstag am Sonnabend? Warum bist Du denn so niedergeschlagen. Wir alle sind besorgt. Schreib nur recht ausführlich.| Bist du nicht viel in der herrlichen Natur, und freust Du Dich nicht an ihr von ganzem Herzen? Hoffentlich bist Du recht vergnügt, wenn wir kommen. Denke Dir nur nur/noch 3 Wochen!! Die Kiste wird Dir gut schmecken. In Ruppin war es sehr nett, Onkel u. Tante sind sehr freundlich, der See, den Du ja auch kennst, ist ja wunderhübsch.Du weißt doch

In der Hoffnung, daß Du recht vergnügt und fröhlich bist und recht genau alles schreibst bin ich Deine

Schwester Johanna

Schreib an Schwester Therese

Ich lerne fleißig Italienisch, habe Geigenstunden, Klavier u.s. w. u. muß mich noch immer recht erholen!!

Einen Pfingstmaiengruß!

Morgen kommen auch Dürselens wieder. Schreib an sie!

Mein lieber Paul!

Soeben habe ich Dir Alles besorgt was ich denke, was Dir Freude macht, Carar war neulich wohl etwas wenig, Wurst ist nur klein, dafür sende ich Dir einen ganzen lütten Schinken mit, schreibe nur, ob er gut ist.- Außerdem noch was an Wäsche hier ist, 1 Unterhose, u. 1 paar Manschetten dazu natürlich die Schokolade, die Du sonst sehr vermissen würdest. Nun ist Missionsnähverein

Herzl gruß
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