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den 01.08.1921

Mein Liebes Hannahchen!

Viele Briefe wäre ich Dir schuldig, um all das zu beantworten, was Du mir geschrieben hast. Aber es ist merkwürdig: Niemals kommt man weniger zu etwas, als wenn man eigentlich nichts Anderes zu tun hat. Und dann benutze ich alle Zeit, in der ich überhaupt schreibe, zum Arbeiten. Die anfängliche Nervosität hat sich mehr und mehr gegeben; meine Kräfte durchströmen mich; aber immer wieder kommen Sturmtage und neue Menschen (neulich Frau v. Sydow), die mir die Zeit nehmen; und dann die Müdigkeit! Du ahnst nicht, wie müde man in diesen Salz-Lüften sein kann, die einen Tag und Nacht umwehen und meistens umbrausen. O Hannah: der Gedanke, mit Dir hier irgend einmal sein zu können, Deine Augen erfüllt zu sehen, von der Weite, die von Arkona, der Nordspitze Rügens, über Stralsund, Vorpommern bis Mecklenburg, die Insel | Moen und die unendliche Ferne im blauen Nordosten reicht, Deine Backen glühen sehen von dem Spritzwasser auf den Steinen des steilen Nordstrandes, Deine Ohren betäubt von dem Brausen von Meer und Wind – das muß Seligkeit sein. Es ist mir bitter, daß die Entscheidung über Euch ansteht; aber ich bin jetzt innerlich entschlossen, in unseren Dingen nichts zu tun als zu warten; aber zu warten mit Bereitschaft. Denn die ist immer da; Hannah; das mußt Du wissen. Es ist hier und in Berlin, es ist in der Arbeit und im Spiel. Kein Augenblick, wo ich nicht bereit für Dich bin; diese Bereitschaft soll Dich ziehen, wie der luftleere Raum die Luft. Wir dürfen nichts machen mit Willkür; denn wir sind Menschen des Schicksals. Und das ist nichts Kleines und höchste Verantwortung. Schreib viel und sei so bei mir!

In tiefer Einheit.
Paul.
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