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den 01.09.1920

Hannah! Geliebte!

Hab Dank für Deine beiden Briefe! Der eine hat mich am Vorabend des Geburtstages erreicht, wo Du als Dichterin zu mir sprichst in aller Farbenpracht. Doch Du bist immer Dichterin; jedes Wort das Du schreibst, klingt höher, größer als das profane Wort; es kommt aus einer Seele, die höher und größer ist, als alles Profane. – Du leidest; und ich glaube fast, etwas davon ist begründet in dem, was in Deinem Leibe vor sich geht; Du schreibst, es ist zu spät für meine Mittel; dann aber ist es überhaupt zu spät für „Mittel“. Dann hilft nur der Eingriff; und Du darfst keine Zeit verlieren, wenn Du entschlossen bist, zu verneinen, was der Zufall brachte, wenn es Dein restlos entschlossener Wille ist, jetzt noch kein Leben neu zu schaffen, sondern nur Dich selbst! Dann gehe sofort zu dem Arzt, von dem Du sprachst; es ist physisch keine leichte Sache und sie muß physisch mit größter Vorsicht gemacht werden. Die Hauptsache aber ist: sofort! Ich bitte Dich um häufige, schnelle Nachrichten, da ich mich für Dich sorge. – Daß Du körperlich so schwer arbeiten mußt, tut mir einerseits Leid, andererseits ist ja keine verlorene Sache und dient der Kraftkonzentration, die Du so nötig hast wie ich. Ich fahre von Dölzig über Stargard nach Rügenwaldermünde. Ursprünglich sollte Eva Wever mitkommen; sie schrieb aber ab. Ich schrieb darauf an eine Frau Apelius-Erbslöh, die ich vor einiger Zeit kennen gelernt hatte, eine Kriegerwitwe, deren ursprünglich starke Erotik, sich in mütterlichen Fürsorgewillen gewandelt hat, und die hier rührend für mich sorgt, mich nach Art der Rügenwalder Gänse geradezu stopft. – Sonst ist hier alles ganz friedlich und äußerst primitiv und dementsprechend billig. Kurkonzert, Promenade, Badebetrieb, Restaurants etc. gibt es nicht; um so | schöner ist das Meer, weit und offen, und brausend an den Molenköpfen. Ich baue meine Burg, deren Schema Du ja kennst, als richtiger Schwerarbeiter mit einer mächtigen Kohlenschaufel bewaffnet. Nachmittag wird gebadet und Abends sinke ich todmüde ins Bett. Zum Geburtstag hatte mir Frau Apelius zwei schöne Astern-Sträuße aufgebaut, vor allem aber hatte der Himmel Westwind mit Wellen geschickt, das schönste Geschenk, was ich kenne; dann springt alles in mir auf; es ist ein Jubeln in mir über die Kraft und Herrlichkeit der Natur. – In diesen Tagen bin ich weiser geworden; mir ist der rationale Sinn des Jesuwortes aufgegangen: „Sorget nicht für den morgigen Tag; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen; es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe“ d. h. Jede Lage schafft auch biologische Kräfte, durch die man ihr gewachsen ist; mit der Sorge aber ist’s wie mit dem schlechten Traum; man ist machtlos und es drückt stärker als das jeweils Wirkliche! Der Wirklichkeit entsprechen Gegenkräfte; die Zukunft ist stärker als wir; diese Einsicht hat mir diese Tage schöner gemacht, und ich denke, sie wird mir weiter helfen; sie wird aus einer Einsicht zu einer Lebensform werden. – Mein Schwager Alfred schreibt mir zum Geburtstag, daß er viel an Dich dächte und Dich liebgewonnen hätte. Aber ich hätte nicht die volle Kraft der unbedingten Ausschließlichkeit gehabt, der „Treue“, hast Du es gespürt? In den letzten Wochen sicher nicht mehr! Da warst nur Du da! Es ist wohl dasselbe, was Trude Horn von Dir meinte. – Und nun leuchtet die Sonne und das Meer und der Sand in göttlicher Herrlichkeit!

Ich denke an Dich, ich bin bei Dir.
P.
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