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Liebste Hannah!

Dein zorniger Brief hat mir Sorge gemacht wegen Marie-Luise, und Spaß meinetwegen. Ich war gestern noch mit ihr zusammen und da sagte sie mir, ich sollte nicht denken, daß sie immer so schlecht aussähe, wie im Kolleg, wo sie abgehetzt wäre; und wirklich fand ich sie hier recht frisch; auch erzählte sie mir, daß sie recht gut ißt. Ich will trotzdem auf sie aufpassen; in 14 Tagen hört ja das Kolleg auf für 2 Monate; und dann lese ich Vorm.Vormittag 11–1, so daß sie diese zwei Nachmittage ganz frei bekommt. Auf den Ball am Sonnabend kann ich nicht gehen, da ich unfähig bin, nach Verlust einer Nacht das Kolleg auf der Höhe zu halten, erst nach dem 1. März bin ich frei. – Was Deine anderen Gedanken betrifft, so bedarf es bei ihr auf jeden Fall Zeit, und dann ist es nicht so leicht, sie weiterzuführen; aber ich bin sonst ganz Deiner Meinung und danke Dir für viele Worte, über die ich viel nachgedacht habe und noch nachdenke. Es ist eben doch so wie in Platos Gastmahl: Wenn Sokrates über den Eros etwas wissen will, so geht er zu Diotima! – Und nun ich selbst: Seit der Studentenzeit bin ich nie in irgend einer Geldverlegenheit gewesen, und bin es auch jetzt nicht. Ich habe noch genug auf der Bank; aber ich verleugne das, um Egli zur Zahlung zu zwingen. Daß ich ihm die 1000 MMark gab, war eine völlig richtige Taktik gewesen: Ich wollte ihn auf die Probe stellen, inwieweit ich ihm trauen durfte; jetzt hat er trotz mehrfachen Bittens keinen Pfennig bekommen; statt dessen habe ich ihm gesagt, daß er jemand schaffen müßte, der mir für ihn direkt die Pension zahlen würde; er sucht jetzt, und wenn sich niemand findet, muß er gehen; das ist für ihn die Rettung, die einen begabten Menschen vielleicht vorm Untergang rettet; das kann ich aber nur infolge der 1000 MMark, die ich schon damals in diesem Sinne ihm gab. Drittens darfst Du nicht vergessen, daß ich schon drei Monate im Wesentlichen von ihm lebe, was auch nicht möglich ist ohne eine gewisse Gegenseitigkeit. Von Edelmut ist also keine Rede; es ist Klugheit, die aber auch für ihn Hülfe ist. Liebes Hannahchen! Ich bin viel zu solide veranlagt, als daß ich in Bohême-Allüren fallen könnte. Auch habe ich weder Zeit noch Kraft dafür. Laß also Deinen Zorn, der auf einer falschen Beurteilung der Sachlage beruhte, verfliegen!

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