Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich wahrscheinlich vom 22. November 1921

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Der editierte Text

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Liebe a!

Die letzte Hoffnung seit 10 Tagen, die zweite Dienstagspost vorbei und nichts von Dir! So muß ich denn glauben, daß mein Bußtagsbrief,1 den b unvorsichtigerweise ihrem Bruder gegeben hat, verbummelt ist. Sein wichtigster Inhalt war der, daß ich es unendlich begrüßen würde, wenn Du erst einmal auf 10 Tage loskämst und über c nach d führest. Ich bitte Dich sehr herzlich darum. So wenig ich Einfluß auf Deine eigentliche Entscheidung nehmen will, so sehr liegt mir daran, daß wenigstens dieses geschieht – wenn nicht inzwischen alles, was ich schreibe und denke, überholt ist. Über mir liegt es wie ein Schleier, seitdem Du nicht schreibst. Ich kann nirgends mehr meinen Lebenswillen hinlenken. Ich gehe umher in Traurigkeit und Sorgen und langsam aber sicher wenden sich die Menschen von mir ab. Es ist alles so schwer für uns gekommen, wie es nur ausgedacht werden kann. Jetzt bin ich in großer Sorge, daß Du krank bist; ein Wort, eine Postkarte von e würde mir helfen. Aber gerade ihr schreibst Du nicht. Sie| leidet darunter. Sie weigert sich, weiterhin Vermittlerin unserer Briefe zu sein, wenn Du sie ganz aus Deiner Gemeinschaft ausschließest. – Heut Vormittag, vielleicht in dieser Stunde, wird unsere Scheidung vor Gericht ausgesprochen.2 Ich denk kaum daran; es ist längst Formsache geworden. Aber welchen Inhalt könnte diese Form für mich haben... i denke daran, daß eine Sehne zerspringen kann, wenn sie zu lange gespannt wird ohne Lösung oder wenigstens ohne Lockerung... und jedes Wort von Dir ist eine Lockerung. Alles in meinem Leben ist jetzt vorläufig. Aber ich kann nicht immer im Vorläufigen leben. Ich brauche eine Gewißheit; und jetzt werden Tage, was vorher Monate waren in Qual des Wartens. Mein Wille zu Dir ist klar und ungebrochen; aber ebenso ungebrochen ist meine Klarheit, daß der Wille zum Freiwerden Dein und nicht mein Wille sein darf, oder vielmehr Dein Muß, das in diesem Augenblick mein Muß wird.

Ich bin bei Dir! Laß uns nicht ganz zerbrechen in Sorge und Ungewißheit!
j.

| Diesen Sonnabend–Sonntag fahre ich nach k, falls nicht Anmeldung von Dir kommt.


Fußnoten, Anmerkungen

1Liegt nicht vor.
2Die Ehe zwischen f und g wurde laut Renate Albrecht am 22. November 1921 geschieden. Vgl. h

Register

aTillich, Hannah
bWerner, Marie Luise
cBerlin
dBremen
eWerner, Marie Luise
fTillich, Paul
gTillich, Margarete
hTillich, Ein Lebensbild in Dokumenten: Briefe, Tagebuch-Auszüge, Berichte, 1980
iTillich, Hannah
jTillich, Paul
kDölzig

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard, Harvard Divinity School Library, Tillich, Hannah. Papers, 1896-1976, bMS 721/2 (17)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
unbekannt - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich von November 1920
nächster Brief in der Korrespondenz
Postkarte von Paul Tillich an Hannah Tillich wahrscheinlich von 1920

Entitäten

Personen

Orte

Literatur

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Hannah Tillich wahrscheinlich vom 22. November 1921, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L01289.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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