Brief von Fritz Gehse an Paul Tillich vom 18. Juli 1933

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18. Juli 33

Sehr verehrter Herr Professor!

Durch Herrn Dr Leese erfuhr ich von Ihrem jetzigen Aufenthalt. Manchmal hätte ich Lust auf Fahrt zu gehen und mit Ihnen zu suchen Klarheit in den Dingen der Gegenwart, mit Ihnen zu sprechen vom deutschen Christentum, von der Kirche und Ihrer Aufgabe. Aber vielleicht ist es auch möglich, einmal schriftlich von Ihnen ein Wort dazu zu hören.

Sie werden sich meiner nur noch sehr dunkel erinnern besonders des kümmerlichen Dekanats, das ich mal in Berlin mit meinem Freunde Fischer machte. Vom rlgs. Sozialisten hin zum Nationalsoz. (schon Aug 32) pendelte ich und nun stehe ich mitten drin in dem Wirbel der Ereignisse, in dem jetzt die Welt dahintreibt; und da ist gewiß nur eins nötig: Heilige Sammlung und Gebet, jede ruhige Stunde, die wir uns noch erkämpfen können, nach Innen dringen, bis der Herzschlag der Ewigkeit unser armes Herz aufnimmt! Was sollte jetzt Reden? Das sind alles kindliche Spielereien. Wir befinden uns in einem unermeßlichen Weltgericht, das man durch schweigenden Ernst am besten ehrt. Mag auch die brennende Wüstensonne noch soviel Trauer am Privatglück empfangen, im Grundgefüge der Welt hat sich trotz eines Wolkenbruchs von Phrasen nichts geändert. Es heiße tapfer sein u Gottes Walten aushalten bis zum Letzten. Er braust anderen Zielen zu, als wir mit unseren armen Köpfen ertüfteln u bereden wollen. Man ahnt sie in den ernstesten Augenblicken. Aber Worte fehlen dafür; sie wären nur Schwatz; ein Neues wird er schaffen, ja! über unsere blutenden Herzen hinweg. –

Die Sprache hört auf, aber gerade unter solchem härtesten Druck bilden sich heimlich neue Organe der Mitteilung, Schwingungen, aus neu aufgebrochenen Schichten der Seele und darauf müssen wir achten! Überhaupt wird| der "Leib der Auferstehung" sich in uns Wirklichkeit, und wir würden mehr u. mehr befähigt, die Puppenschale dieser Welt abzureißen. Sie hat wohl bald ihre Pflicht getan. – Hitler’scher Geist – in der "letzten Kompagnie". So als Gottes Soldaten! Kein Wort reden, todbereit sein. Und wer es noch nicht ist, muß es zu werden versuchen. Mit Gottes Hilfe! Der äußeren Hetze ist genug; die sich überstürzenden Ereignisse lassen uns nicht los, daß wir kaum wissen, wie uns der Kopf steht. Es ist höchste Zeit sein Kämmerlein zuzumachen oder den Austausch über die Sonderungen der Stunde zu beginnen und heilige Zellen zu bilden.

Verzeihen Sie diese dringliche Bitte an Sie. Grüßen Sie alle Freunde!
Ihr dankbar ergebener F. Gehse.
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