Brief von Waltraut Stephan an Paul Tillich vom 30. April 1933

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Bonn, am 30.IV.1933

Sehr verehrter Herr Professor!

Aus meinem Anruf wird nun ein Brief, denn ich bin nach Bonn gegangen. Frankfurt ist mir nach allen Veränderungen fast so fremd wie andere Universitäten auch. Hier habe ich in Herrn Professor Naumann einen Lehrer, bei dem ich mich wohl fühlen kann. Ich glaube, daß auch das andere (Geschichte und Philosophie) nicht schlecht sein wird.

Wie schmerzlich es für uns ist – ich kann auch im Namen meiner Freundinnen so sprechen –, daß Sie im Augenblick, und wer weiß für wie lange, nicht mehr lehren und wirken können, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ich darf und will was mich betrifft nicht klagen, denn mein Herz gehört der nationalen Bewegung. Da hat es eben Grund genug zur Freude und muß| das andere als Opfer ansehen, das ja jeder bringen muß. Das müßte ich eben noch einmal sagen – obwohl Sie es wohl schon wüßten – um der Aufrichtigkeit willen. Trotz meiner nationalen Haltung habe ich an Ihrer Philosophie wohl das Wertvollste meines ganzen Studiums. So wird es auch bleiben.

Sicher ist nicht alles gut, was eben geschieht. Man will reinigen, aber man macht uns auch ärmer dabei. An uns Jungen wird es sein, das an Kultur und Leistung aus uns aufzubringen, was eben um einer anderen Gesinnung oder Abstammung willen abgewiesen wird. Wir dürfen dann vielleicht auch wieder mäßigen und verbinden und vor allem werden wir der Kritik wieder eine Stimme geben müssen.

Was Sie nun tun können und tun werden, weiß ich nicht. Jedenfalls wünsche| ich Ihnen von Herzen, daß Sie irgendeine Möglichkeit finden möchten, Ihre Philosophie zu lehren und zu entwickeln. Was ich bei Ihnen gelernt habe, werde ich nicht wieder vergessen, und ich bliebe gern – dies ist eine ganz zaghafte Bitte – in dem Kreis Ihrer Wirksamkeit wenn auch nur ganz von ferne einbezogen.

Ihre Schülerin Waltraut Stephan.
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