Brief von Joachim Kirchner an Paul Tillich vom 21. April 1933

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Frankfurt a.Main, den 21.April 1933
Untermainkai 15.

Sehr geehrter Herr Professor,

heute morgen besuchte mich Herr Professor Schwietering und teilte mir mit, dass Sie über die Verbreitung des Gerüchtes, Sie hätten sich beim Stahlhelm angemeldet, sehr empört wären; nach wir vor fühlten Sie sich der Sozialdemokratischen Partei gesinnungsgemäss verbunden. Dieses Gerücht ist neben anderen über Sie kursierenden auch mir zu Ohren gekommen. Bei den unendlich vielen Mitteilungen, die böswillige oder leichtgläubige Menschen verbreiten, kann ich beim besten Willen augenblicklich nicht mehr feststellen, wer der Verbreiter der Ihre Person betreffenden Gerüchte ist. Ich selbst habe mich aufrichtig gefreut, dass diese Sie kompromittierenden Nachricht nicht zutrifft. Ich habe in den letzten Wochen stets betont, dass Sie als Verfasser des Werkes "Die sozialistische Entscheidung" einer der mutigen Gegner der nationalen Bewegung sind. Wenn ich als Mitkämpfer der Hitlerbewegung auch Ihr Buch inhaltlich völlig ablehne, so werde ich es doch niemals dulden, dass einer ehrlichen gegnerischen Überzeugung mit Waffen böswilliger Verleumdung begegnet wird. Da ich selbst im politischen Kampfe unter Verleumdungen zu leiden habe, kann ich Ihre Empörung sehr gut verstehen. Aus dem Gefühl heraus, dass man politische Gegensätze auch in anständiger Form austragen kann, werde ich den über Sie ausgestreuten Gerüchten entgegentreten und in den interessierten politischen Kreisen entsprechende Mitteilung machen.

Eine Abschrift dieses Briefes leite ich Herrn Professor Dr. Schwietering zu.

Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ihr ergebener J. Kirchner
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    • Tillich, Paul, Die sozialistische Entscheidung, Potsdam 1933