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Ostern 1933

Lieber Herr Tillich!

Kaum daß wir uns in Potsdam kurz gesehen und gesprochen hatten, ist bereits Wirklichkeit geworden, was wir an dem Abend in reinen möglichen Folgen besprachen.1]

Nun da es geschehen ist, wird man Ihnen Trostbriefe schicken. Wenn ich an Sie zu schreiben wage, so geschieht das aus einem Gefühl der Genugtuung. Stellen Sie sich vor, der Kelch wäre an Ihnen vorübergegangen! Nicht auszudenken!

Es hat doch bisher immer zum Schicksal des hervorragenden deutschen Professors gehört, seines Ortes enthoben zu werden. Erst seit den Gründerjahren hat die Professorenschaft ein peinliches Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit beschleichen können.

Um die Wahrheit zu sagen, sind die Hochschulen nicht mehr der geeignete Ort. Sie haben also in den Hörsälen nichts mehr zu suchen. Andererseits haben Sie hier in Deutschland sicher wohl manches in Zukunft zu sagen. Sollte man Ihnen also eine Professur im Ausland anbieten, so müßten Sie überlegen, ob es nicht doch wesentlich ist, wo man lebt. Ich erneuere meinen Standpunkt: 5% Wirksamkeit in der Heimat ist mehr wert als 10% Wirksamkeit in der Fremde. Sie dürfen also das Land meines Erachtens nicht verlassen, es sei denn, man würfe Sie heraus.

Ich kann mir vorstellen, daß Ihre Freunde den Auszug aus Deutschland leichter nehmen. Um so bedenklicher müssen Sie sein!

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Es ist ein glücklicher Gedanke von Ihnen, sich vorerst für eine Weile zurückzuziehen. Die Herauslösung aus der Atmosphäre der gebrochenen Partei, der Auflösung und Flucht wird Ihnen den neuen Ansatz ermöglichen. Schließlich ist der Katheder nicht die einzige Stätte, an der man etwas sagt.

Wir waren uns doch einig, daß in kommender Zeit die religiösen Fragen hervortreten werden, ganz unbeschadet der äußerlichen Gefahren, ob nun die Kirche gleichgeschaltet wird oder sich selbst gleichschaltet. Vom Standort des Glaubens, vom Standort des von Ihnen selbst fixierten gläubigen Realismus her, vom Protestantismus her kann heute noch frei gesprochen werden. Schließlich, wenn Sie es recht überlegen, haben auch Sie sich bisher für diesen Augenblick gerüstet! Also können Sie überhaupt garnicht fortgehen.

Sie sehen, wir setzen große Hoffnungen in Sie. Deshalb bitten wir Sie recht herzlich, bei Ihren künftigen Entscheidungen uns nicht zu vergessen und uns die Möglichkeit zu geben, Sie zu sprechen, bevor es zu spät ist. In alter Freundschaft und Treue grüßen wir Ihre Frau und Sie.

Ihr sehr ergebener
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