Brief von Arthur Jacker an Paul Tillich vom 7. Mai 1931

|
Berlin-Charlottenburg,1] den 7/5 1931.
Kaiserdamm 15
Telephon: Westend 3179

Lieber Freund Tillich!

Endlich schreibe ich auch diesen Brief, den ich bis jetzt nicht schreiben konnte – nicht bloß, weil es an Zeit fehlte, sondern weil gerade die Briefe, die ich aus innerer Verbundenheit mit den Empfängern selbst zu, schreiben muß, mir so schwer aus der Feder kommen. Wenn ich auch die Zeit nicht hatte, so deshalb, weil ich Ablenkung in meiner Berufsarbeit suchte, die mich gerade auch stark rief, über physische Schwäche hinweg, und weil die vielen Freunde und Mitleidenden uns nie allein ließen. Das war oft Trost für mich, Ablenkung, aber auch Abhaltung von den Freunden, die nicht hier sind.

Ich kann nicht viel erzählen über die letzte Zeit und das so unerwartet schnelle Ende, ohne nur zu leiden.2] Es war eine Zerrüttung von der inneren Sekretion her, eine Aushöhlung, der schließlich das Herz, schneller als die Ärzte nur ahnten, nicht standhielt. Hier hat ein übergütiger Mensch seinen inneren Zusammenbruch hinter jenem sonnigen Lächeln verborgen, das alle bezauberte und ihr Ende nicht ahnen ließ. Was soll ich von meinem Zustande sagen? Die Grundpfeiler meines Baues wie von einem| Beben erschüttert, eine Hauptmauer eingestürzt!

Aber Verantwortung und Pflicht drücken ins Leben zurück, das einem doch wieder irgendwie wichtig wird, weil es in dieser Form ja doch nur einmal gelebt wird! Das Kind ist da, sichtbar mit viel gutem Erbgut von Annie beladen, eine Sorge wegen seines zarten Alters und doch unser aller Glück. Wenn sie eine Annie werde! Sie ist gut betreut von der Großmama und der Liese, die freilich im Mai wegheiraten wollte, es aber zurückgestellt hat, um zunächst noch die Mutter zu ersetzen. Das Kind suchte anfänglich, aber gewöhnte sich bald. Die Mutter und Liese tragen das Leid mit übermenschlicher Kraft, die bei der Mutter vom Gottesglauben kommt und aus einer inneren Quelle, bei der Liese hauptsächlich aus letzterer.

Ich trauere mit Ihnen um die wertvollen, lieben Menschen, die von uns gegangen sind. Wenn sie alle Kraft gegeben haben, die in ihnen war, könnte man sich mit ihrem frühen Scheiden versöhnen; wo aber Zweifel daran kommen, ist bitteres Leid...

Freunde haben die Rede des Pastors Seidel am Sarge Annie's drucken lassen, ich lege sie bei. Auch ein Nachruf und eine Skizze von Annie in der beiliegenden Zeitschrift interessieren Sie vielleicht.3] Ich füge auch noch die letzte Aufnahme von Annie und Kind bei, so sehen Sie auch, wie Maria, die Sie aus der Taufe hoben,| die aber immer noch nur Pupperle heißt, sich entwickelt hat.

Es ist nun Zeit, daß ich schließe.

Wir dachten viel an Sie. Ihre liebe Gattin und das Kind, und wir Zurückgelassenen tun es auch. Nehmen Sie von uns allen herzlichsten Gruß und geben Sie uns Lebenszeichen.

In treuer Freundschaft
Ihr Jacker

    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    Orte: