Der editierte Text

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a,1 den 7/5 1931.
Kaiserdamm 15
Telephon: Westend 3179
Lieber Freund b!

Endlich schreibe ich auch diesen Brief, den ich bis jetzt nicht schreiben konnte – nicht bloß, weil es an Zeit fehlte, sondern weil gerade die Briefe, die ich aus innerer Verbundenheit mit den Empfängern selbst zu, schreiben muß, mir so schwer aus der Feder kommen. Wenn ich auch die Zeit nicht hatte, so deshalb, weil ich Ablenkung in meiner Berufsarbeit suchte, die mich gerade auch stark rief, über physische Schwäche hinweg, und weil die vielen Freunde und Mitleidenden uns nie allein ließen. Das war oft Trost für mich, Ablenkung, aber auch Abhaltung von den Freunden, die nicht hier sind.

Ich kann nicht viel erzählen über die letzte Zeit und das so unerwartet schnelle Ende, ohne nur zu leiden.2 Es war eine Zerrüttung von der inneren Sekretion her, eine Aushöhlung, der schließlich das Herz, schneller als die Ärzte nur ahnten, nicht standhielt. Hier hat ein übergütiger Mensch seinen inneren Zusammenbruch hinter jenem sonnigen Lächeln verborgen, das alle bezauberte und ihr Ende nicht ahnen ließ. Was soll ich von meinem Zustande sagen? Die Grundpfeiler meines Baues wie von einem| Beben erschüttert, eine Hauptmauer eingestürzt!

Aber Verantwortung und Pflicht drücken ins Leben zurück, das einem doch wieder irgendwie wichtig wird, weil es in dieser Form ja doch nur einmal gelebt wird! Das d ist da, sichtbar mit viel gutem Erbgut von e beladen, eine Sorge wegen seines zarten Alters und doch unser aller Glück. Wenn sie eine f werde! Sie ist gut betreut von der g und der h, die freilich im Mai wegheiraten wollte, es aber zurückgestellt hat, um zunächst noch die Mutter zu ersetzen. Das i suchte anfänglich, aber gewöhnte sich bald. Die j und k tragen das Leid mit übermenschlicher Kraft, die bei der l vom Gottesglauben kommt und aus einer inneren Quelle, bei der m hauptsächlich aus letzterer.

Ich trauere mit Ihnen um die wertvollen, lieben Menschen, die von uns gegangen sind. Wenn sie alle Kraft gegeben haben, die in ihnen war, könnte man sich mit ihrem frühen Scheiden versöhnen; wo aber Zweifel daran kommen, ist bitteres Leid....

Freunde haben die Rede des Pastors n am Sarge o drucken lassen, ich lege sie bei. Auch ein Nachruf und eine Skizze von p in der beiliegenden Zeitschrift interessieren Sie vielleicht.3 Ich füge auch noch die letzte Aufnahme von q und r bei, so sehen Sie auch, wie s, die Sie aus der Taufe hoben,| die aber immer noch nur Pupperle heißt, sich entwickelt hat.

Es ist nun Zeit, daß ich schließe.

Wir dachten viel an Sie. Ihre liebe t und das u, und wir Zurückgelassenen tun es auch. Nehmen Sie von uns allen herzlichsten Gruß und geben Sie uns Lebenszeichen.

In treuer Freundschaft
Ihr v

Fußnoten, Anmerkungen

1Gedruckter Briefkopf (mit Ausnahme des Datums).
2Arthur Jackers Frau c ist am 7. April 1931 verstorben.
3Diese Beilagen sind nicht erhalten.

Register

aBerlin
bTillich, Paul
cJacker, Annie
dJacker, Maria
eJacker, Annie
fJacker, Annie
gJacker, (Großmama)
h???, Liese
iJacker, Maria
jJacker, (Großmama)
k???, Liese
lJacker, (Großmama)
m???, Liese
nSeidel, Heinrich Wolfgang
oJacker, Annie
pJacker, Annie
qJacker, Annie
rJacker, Maria
sJacker, Maria
tTillich, Hannah
uFarris, Erdmuthe
vJacker, John Arthur

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974., bMS 649/155(2)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Berlin - unbekannt

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Arthur Jacker an Paul Tillich vom 7. Mai 1931, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L01104.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L01104.pdf