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Teltow, 11.XII.29.

Lieber Paul!

Als ich kürzlich nach einem nicht gerade überragenden Vortrag von Lütgert über "Lutherrenaissance"1] mit ihm sprach u. er mich nach den langen Jahren wieder aus dem Gedächtnis hervorholte, sagt er: Sie sind doch der Fritz dem Tillich sein neues Buch gewidmet hat".2] Er freute sich sehr, daß er mir als Erstem diese Kunde sagte u. über mein Erstaunen. Und nun kam heute Dein Buch u. wenn es eigentlich auch erst unter den Weihnachtsbaum gehört, so muß ich Dir doch gleich für dies Zeichen Deiner Freundestreue danken. Es ist so sinnig, daß Du so die Laokoon-Gruppe nach 25 Jahren wieder aufstehen läßt. Hoffentlich sind wir Beide Deinem Buch so gute Schutzheilige, wie wir Dir sicher das Leben lang treue Freunde bleiben werden.

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Aber ich denke, es hat das gar nicht nötig. Ich habe gleich heute in den mir teilweise unbekannten Aufsätzen gelesen u. es hat mich interessiert wie ein spannender Roman. Es ist Dir wohl zum ersten Mal gelungen ganz schwere u. neue Gedanken ganz klar und plastisch zu sagen z.B. im Augustinvortrag aber auch in den abstrakten Vorträgen. Ich freue mich jedenfalls, daß es nun da ist u. glaube, es ist so viel besser als wenn jetzt schon etwas Systematisches wie Dogmatik herauskäme. Aber kommen muß sie auch noch mal. Nun wünsche ich dem Patenkind viel Glück u. eine dicke Haut auf seine Reise durch Kritikerstuben u. Studentenbuden u. daß es in seiner tapferen Sachlichkeit mithelfe, daß ein glückliches, kommendes Geschlecht wieder ganz in der Welt u ganz in der Kirche stehen darf u nicht bloß auf der Grenze.

Eigentlich bekam ich einen Schrecken als ich die 25 las u. daß unsere Freundschaft nun schon Silberjubiläum feiert.

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Man wird alt. Und ich habe nicht wie Du u. Hermann führende Bücher geschrieben, sondern bisher nur einige „Duralien“ hervorgebracht. So verschieden ist das Schicksal. Aber einander sind wir wenigstens zum Schicksal geworden, Du in Johanna, u. wir wieder in Greti; so ist unser Leben eng ineinandergewoben ganz abgesehen vom Schimmer, daß wir auf den so verschiedenen Lebenswegen uns immer verstehen und in jeder Begegnung ohne Fremdheit am Vergangenen anknüpfen können.

Bei uns ist jetzt schon mächtig Weihnachtsbetrieb. Trude packt für unsere 15 Patenkinder. Unsere 4 sind auch voll Weihnachtswünschen. Es ist gut, daß sie sich noch so freuen können. Ich bin immer froh, wenn Weihnacht vorüber ist. Es ist mir doch mit zuviel Erinnerung belastet. Und es ist auch durch all den Betrieb stark entleert. Aber mit den Kindern ists doch schön, nur wüßtest Du wie sie manchmal uns den Baum schmücken.

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Hoffentlich geht es euch Beiden u auch Erdmuthe gut. Mir haben die Tage am Meer sehr viel Erholung gebracht u. ich hoffe Dir doch trotz Deines einsiedlerischen Fleißes. Das Bild des Asketen zwischen dem Heidekraut im braunen Büßergewand u. schwarzen Rittermantel wird mir unlösbar gut Deinem Buch gehörig in Erinnerung bleiben. Viel schöne Tage hat uns die Gemeinschaft der 25 Jahre gebracht u. in trüben u. stürmischen ein geborgenes Plätzchen. Hoffentlich bleibts immer so. Du bist ja unter großem Reichthum von Menschen. In meinem Leben ists still geworden u. die Zeit des Geöffnetseins für neue Menschen ist wohl fast vorüber. Da hält man um so fester die paar Erprobten fest u. weiß was man dran hat. Alles Gute mein lieber Junge. Grüße Hannah.

Herzlich Dein Frede
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    Literatur:

    • Tillich, Paul, Religiöse Verwirklichung, Berlin 1930 
    • Tillich, Paul, Der Staatsbegriff in Augustins "De Civitate Dei", in: ders., Religiöse Verwirklichung, Berlin 1930, 233-252.