Brief von Walter Passarge an Paul Tillich vom 30. September 1929

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Kiel den 30.9.29.

Sehr geehrter Herr Professor!

Darf ich Sie freundlich um eine wissenschaftliche Auskunft bitten. Für eine Forschungsreihe, die im Verlag Junker u Dünnhaupt, Berlin, erscheinen wird, bearbeite ich den Band "Die Philosophie der Kunstgeschichte" – ein Referat über die wichtigsten Arbeiten auf diesem Gebiet in den letzten 20-30 Jahren. (u.a. Riegl, Wölfflin, Frankl, Coellen, Worringer, Dvořak, Frey, Brinckmann, Pinder u.s.w.). In diesem Zusammenhang möchte ich nun auch Bezug nehmen auf Ihre Kulturphilosophie, die sie vor einigen Jahren in einem Vortrage in Erfurt über "Das Heilige und das Profane in Kultur und Religion" entwickelten. Sie stellten damals für die bildende Kunst die Entwicklungsreihe – wenn ich mich recht entsinne –: Heteronomie, Theonomie und Autonomie der Form auf, die mich damals schon lebhaft beschäftigte. Da ich nun nicht weiß, ob und wo Sie diese Theorie weiter ausgeführt haben, darf ich Sie vielleicht um | einen Hinweis bitten. Auf alle Fälle würde ich gern Ihren Vortrag und Ihr Buch über die religiöse Lage der Gegenwart erwähnen, das mir sehr viel Anregungen gegeben hat.

In der Vossischen Zeitung las ich Ihre Berufung nach Frankfurt a/M., für die ich Ihnen noch nachträglich von Herzen gratuliere. Frankfurt ist mir immer sehr sympathisch gewesen.

Mir geht es hier relativ gut, meine Arbeit als Direktoriatassistent ist sehr selbständig. Die Arbeit der ersten 1 1/2 Jahre war die vollständige Neuordnung des Museums,1] die, wie ich glaube, einigermaßen gelungen ist. Dann kamen die Vorarbeiten für 2 große Ausstellungen "Nordische Volkskunst" und "Nordische Baukunst der Gegenwart",2] für die ich im Dezember Schweden, Norwegen und Dänemark bereiste. Außerdem halte ich Vorlesungen an der Kieler. Kunstgewerbeschule. Seit Februar bin ich verheiratet und wohne sehr hübsch nahe der Förde.

Zufrieden werde ich aber erst sein, wenn ich eine leitende und ganz selbständige Stellung habe.

In der Hoffnung, daß ich Sie mit meiner Bitte nicht allzu sehr in Ihrer Arbeit störe, bin ich Ihr ganz ergebener
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    Personen:

    Orte:

    Literatur:

    • Passarge, Walter, Die Philosophie der Kunstgeschichte, Berlin 1930 
    • Tillich, Paul, Die religiöse Lage der Gegenwart, Berlin 1926.