Brief von Paul Viergutz an Paul Tillich vom 10. August 1925

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Berlin NO18
Werneuchener Str. 8
10. 8. 25.

Sehr geehrter Herr Professor!

Mein Brief fährt Sie in eine Zeit zurück, an die Sie vielleicht kaum noch denken, mir aber um so lebhafter in Erinnerung kam, als ich in unserer Lehrerzeitung las, daß Sie als Professor an die Technische Hochschule in Dresden berufen sind. Wenn ich Ihnen aus diesem Anlaß meine herzlichen Glückwunsch übermittele, denke ich lebhaft an die Zeit zurück, wo wir als Kinder in Schönfließ miteinander spielten und lebhaften| Verkehr unterhielten. Unsere Wege haben sich weit voneinander entfernt. Das eine haben wir aber miteinander gemeinsam, daß wir beide den Beruf unserer Väter ergriffen haben, von dem Sie sich allerdings, wie mir scheint, ein wenig entfernen, da Sie in Ihrer neuen Stellung der Philosophischen Fakultät angehören. Nachdem ich nach Abgang von dem Seminar Lehrer auf einem benachbartem Dorfe von Schönfließ geworden war, bin ich seit 1910 im Volksschuldienst der Stadt Berlin tätig. Mein Beruf hat mir stets große Befriedigung gewährt, obwohl ich bisher doch noch nicht das erreicht habe, was mir als Ziel vor Augen stand. Daß ich stets zur Zufriedenheit| meiner Vorgesetzten meinen Beruf treu erfüllt habe, beweisen meine Revisionsbefunde, die ich über meine Tätigkeit beibringen kann. Sie waren auch die Veranlassung dafür, daß ich auf die Vorschlagsliste der Berliner Rektorenanwärter gesetzt wurde. Die überaus große Schwierigkeit der heutigen Zeit im Schulfach hat mich mein Ziel bisher noch nicht erreichen lassen, obwohl ich viele von meinen früheren Kollegen, denen ich an Kenntnissen nicht nachzustehen glaube, in Stellungen sehe, die über das einstige Ziel ihrer Wünsche weit hinausgegangen sind nur aus dem Grunde, weil sie über Verbindungen verfügen, die mir leider nicht zu Gebote stehen. Als ich die Notiz über| Ihre Berufung nach Dresden las, kam mir der allerdings nicht uneigennützige Gedanke, eine Verbindung aus meiner Kinderzeit wieder anzuknüpfen, die mich vielleicht zu meinem Ziele führen könnte. Da in der Zeitung darauf hingewiesen wurde, daß Sie als Führer der neuen Lehrerbildung vor allem berufen wären, glaube ich umso mehr mich mit meinen Wünschen Ihnen anvertrauen zu dürfen, als ich dieselbe Straße ziehe. In diesem Sinne bitte ich Sie höflichst, sich meiner erinnern zu wollen, wenn Personenfragen betreffs Übernahme leitender Stellen (Kreisschulinspektion auf dem Lande) an Sie herantreten sollten. Ich glaube doch nicht fehlzugehen in der Annahme, daß gerade in| Ihrer heutigen Stellung Sie um derartige Vorschläge öfter gebeten werden. Sollte ich mich darin nicht irren, würden Ihnen ja jederzeit meine Papiere von der Schuldeputation in Berlin zur Verfügung gestellt werden. Ich würde mich freuen, als ein praktischer Gehilfe in der Ausführung Ihrer Ideen Ihnen zur Seite stehen zu können.

Nehmen Sie es nicht für ungut, wenn ich mit solcher persönlichen Bitte mich an Sie wende. Die Erinnerung an unsere gemeinsame Jugend drückte mir die Feder in die Hand, Ihnen meine Bitte vorzutragen. Indem ich Ihnen nochmals meinen Glückwunsch ausspreche, grüße ich Sie in freundlichem Gedenken.

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