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den 01.10.1920

Hannah!

Nie warst Du mir so nahe, nie habe ich so viel mit Dir gerungen, nie Dich so tief erfaßt, wie jetzt. Noch ist es nicht ganz still um mich geworden: Frl. Rudolf ist krank und es hängt manches Unerfreuliche, Aufregende und Erschütternde daran, von dem ich Dir nur erzählen kann; es sind lauter schwere Tage, heut Abend aber in der Einsamkeit meines Zimmers – nun einen Stock höher, ähnlich, aber noch schöner als unten – kamst Du zu mir, auf deren Antwort ich sehnsüchtig warte. Und Du setztest Dich zu mir und Du streicheltest ganz still und zart über meine Stirn … denn das kannst Du auch, nicht wahr, Du Starke, Wilde? Und es wurde still in mir und ich legte meinen Kopf auf Deine Schulter und sagte Dir etwas ins Ohr von ewiger, heiliger Gottesstille über allen Ekstasen. Und langsam erfüllte Deine Ruhe das Zimmer und vertrieb die bösen Dämonen, die eindringen wollen vom ersten Tage an. Sage mir wieder und wieder, daß Du bei mir bist, daß Du mein Kämpfen mit mir teilst,| sage mir, daß Du mein bist, als Fels im Meer der Wirklichkeiten, als Insel im Toben meiner Seele; sage es mir mit stillen, klaren, festen Worten, wie ich sie jetzt brauche, wie Du sie reden mußt, ehe Du ganz Siegerin sein kannst! – Ich halte ja heilig die Ekstasen, und ihrer keine soll je von mir mit einem Wort entweiht werden; aber die Alten wußten, daß man der Ekstasen nur würdig werden konnte durch Askesen; um der Ekstasen willen wurde ich nüchtern, um der Ekstase [!Sing.] willen sei Du es einen kleinen Augenblick mit mir; um der Ekstase willen des Einklanges und der Mischung unserer Seelen bin ich jetzt in Armut gegangen, daß mein ganzes Wesen sich windet in Sehnsucht, und doch die Erfüllung entbehren muß, bis ich wieder frei bin! Hannah sprich zu mir still und ruhig, nüchtern und arm, daß Du meine Armut nicht beschämst!

Arm werde Dein Geist, wenn er zu mir kommt.

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