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Marienburg , den 30.04.1920

Geliebte Hannah!

In einem Erker auf dem Pensionshaus der Marienburg sitze ich: Nach drei Seiten Glasfenster; überall Mosel, Berge mit Wein und Wald, überschattet von losgelösten Sommerwolken, zwischen denen der Himmel blau leuchtet und die Sonne Flecken über die Berge hintreibt; der Wind bläst noch allerlei Melodien, die an die Regenströme der letzten Tage erinnern, aber er ist doch einsichtsvoll genug, nun genug des Wassers sein zu lassen. Unter mir führt die schwere Eisenbahnbrücke vom Tunnel nach Bullay. Und da unten denke ich mir ein Stübchen, in das ich Dich einquartiert habe, und wo ich Dich alle Nachmittage abhole zu einem Gang durch die Herrlichkeiten dieses schönsten Punktes der Mosel; |

und wenn es regnet, sitze ich bei Dir und Du läßt mir Kaffee bringen, und es ist wie in den Zeiten, wo die Ritter herabstiegen von ihren trutzigen Burgen und die Schöne des Tales in stiller Verschwiegenheit besuchten, um dann zurückzukehren zu der Tafelrunde der Ritter, wo der Moselwein zwar nicht in Strömen, aber in halben Flaschen fließt – Und der Ritter hat noch seine Taten zu vollbringen; gestern hat er seinen Vortrag über Volksschulen und Weltanschauung gehalten und einen großen Sieg davongetragen; und heute hat „der Freund“ Wegener, der übrigens alles leitet, dasselbe getan mit einem Vortrag über die Philosophie in der Volkshochschule. So tragen wir Berliner Kulturideen in die friedlichen Moselgefilde, wo merkwürdige Kulturempfänglichkeit ist. | Mit einer marieenhaft- ekstatisch katholischen Kollegin - von Dir habe ich mich viel über Katholicismus, Symbolismus etc. unterhalten. Sie sprach von einer „dritten Romantik“, die in katholischen Kreisen aufblüht, und gerade die Besten unter ihnen faßt. Wir verstehen uns weitgehend sehr gut; und auch Ihr würdet es tun. Vielleicht fahren wir Sonntag nach Marialaach. – Die Höhe, auf der wir sind, ist für große, weitumspannende Gedanken sehr geeignet; ich möchte hier sitzen und meine Bücher schreiben, einen Sommer lang; ich glaube, sie würden „klassisch“ werden; aber vielleicht nicht so tief, wie in der Wüstheit und dem Kampf der großen Stadt, wo das Lebensleid so viel eindringlicher ist, als auf diesen wolkigen Höhen.| Ich bin weitgehend erledigt gewesen, als ich Berlin verließ, das merke ich jetzt; es war zu viel für eine arme Seele zu verarbeiten, und zu vereinigen; und nun fürchte ich schon, daß es in 8 Tagen wieder so los geht; aber es ist das auch die Kraftquelle, die uns allen andern überlegen macht. Wenn ich denke, daß Du nun auch bald in diese Einsamkeit wanderst, so wird mir teils neidisch, teils traurig zu Mute – Zu Pfingsten muß ich wieder reden, und zwar inPi einem Dorf bei Pillau auf der Kurischen Nehrung; von West nach Ost! – Dazwischen aber freue ich mich auf Dich und Deine vielfältige „Schönheit“ – – – Du liebes, Feines, Reiches! Es grüßt Dich von der Höhe
Dein Ritter.
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