Der editierte Text

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a, d. 25.VII.
Liebster b!

Nun liegen die Tage abgeschlossen hinter mir...

Die Rückreise verging wie im Flug. Ich habe mit c die heilige Philosophie u. Politik traktiert und auch noch mal das „d“ Problem erledigt. In dem Punkt für dich eine Aufgabe. Ich habe versucht ihm die Grenze seines formalistischen Neukantianismus zu zeigen, daß er vergißt | daß der Prozeß nicht der Sinn alles Lebens ist und nicht die Weisheit die tiefste, daß alles relativ ist, sondern das Erlebnis des Unbedingten am Bedingten auch auf dem {Erkenntnisgebiet}. Er entwickelte dann seine Rel. philos., daß im Denken u. Wollen eben der Prozeß d. unendliche bleibt u. nur zu Gott führt und eine Erlösung nicht möglich ist... unvermittelt tritt dann bei ihm das Erlebnis der Gotteskindschaft auf - als Bewußtsein des dennoch erlöst seins. Ich versuchte ihm deutlich zu machen, daß dies d. | Rechtfertigungserlebnis sei und daß das nicht blaß u. unvermittelt neben dem Prozeß stehe, sondern daß in jedem Fortschreiten - im procedere, immer die eine Seite das Erlebnis des Unbedingten vom Bedingten ist - und daß Fülle u. Inhalt ins Leben kommt, wenn man darauf {achtet} und nicht mit den Gedanken am Formalen hängen bleibt: der leere aufgeblasene Denker als Gefahr {¿¿¿}. Bitte nimm ihn, wenn er nach seinem Dr. als Redakteur der deutsch-akadem. Zeitschrift nach e kommt in deine Schule. Er sucht geistigen | Anschluß an unsern Kreis. Wir wollen ihn ja nicht zu uns bekehren sondern zu Gott. Ich sagte ihm, daß ich bei der ganzen f Auffassung diese Gefahr des leer Formalen sehe u. daß dies seine Aufgabe sei, die „Fülle“ in der Form zu {erfassen} und sie dadurch mehr zur Form werden zu lassen. - Dann habe ich gründlich mit ihm die Sozialistenfrage besprochen. Da kann er m.E. nicht zurück. Ich habe ihm gerade vom Korporationsgedanken aus die Verkehrtheit g zu zeigen gesucht. Da hoffe ich hat er verstanden u. zugestimmt. | Wir besprachen von dem Pflichtbegriff der Beamten ausgehend (Pfarrer, Lehrer, Jurist) die Möglichkeit der „interesselosen Enthaltung der Genialität auch beim Unternehmen ohne kapitalistischen Egoismus“, dann die Notwendigkeit der neuen Wirtschaftsform wegen der notwendig zu Katastrophen führenden alten - und den faustischen Kulturbegriff (Mammon > < Gott) der alles faßt u. verschlingt und den Menschen zum Sklaven des toten Goldes macht. - Dagegen Persönlichkeitskultur: Korporation | des Undemokratischen, für das er eintrat (auch h) nicht im reaktionären Machtgedanken sondern in der Volksvertretung durch eine andre Art Parlament. (Räte, bzw. Berufsorganisatoren). Bitte lies ({keinen}) u. B. i Mammonismus, Militar. etc. Dann habe ich 2 Stunden mit j {¿¿¿ ¿¿¿} dasselbe Thema gründlich erledigt. Für mich waren die Tage seltsam. Ein Zusammengeknüpftwerden von Fäden, die seit 1906 | laufen... Sonderlich freute ich mich der Arbeitsgemeinschaft mit Dir - bzw. des sich Verstehens!! Ich hoffe, daß das sich noch mehr anbahnt und daß das sich auch im „Du“ sagen und Kirchengehn wieder äußert. - Ich will Dich nicht in faule Reaktion und Seelenfett haben - sondern nur zur Synthese u. Fülle gelangen sehn. | Denk' daran, daß deine Aufgabe nicht im Verschlungenwerden von praktischen Gegensätzen liegt, sondern daß Du Theologe bist, der da helfen soll und mit neu bauen.

Hab' Dank für Deine Gastfreundschaft in Geiste und Haus Grüß k u. l
Dein treuer
m

Fußnoten, Anmerkungen

Register

aKassel
bTillich, Paul
cFischdiek-Ma, ???
dMarburg
eBerlin
fMarburg
gPinkerneil, ???
hPinkerneil, ???
iOtto, Rudolf
jGöttingen
kTillich, Margarete
lTillich, Wolf
mSchafft, Hermann

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974, bMS 649/182
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Cassel - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Brief von Hermann Schafft an Paul Tillich vom 8. Mai 1917
nächster Brief in der Korrespondenz
Brief von Hermann Schafft an Paul Tillich vom 29. August 1927

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Hermann Schafft an Paul Tillich vom 25. Juli 1919, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00636.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L00636.pdf