Brief von Paul Tillich an Anna-Margarete Bahr vom 29. Mai 1919

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Der editierte Text

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a, d. 29. Mai 19.
Liebe b!

So, nun habe auch ich das „Fräulein“ vermieden, was vielleicht noch „bedenklicher“ ist, als der Verlust des „Herr“, weswegen ich zur Strafe auch dem demnächstigen Verlust des „Doktor“ noch entgegenhoffe... Vielen Dank für Ihren Brief, der mir eine große Freude war und mich an den Nachmittag mit den gelben Blumen auf der roten Seidendecke erinnerte, die reizende Einweihung meines Zimmers...

Der Abend in c war wirklich sehr nett für mich; man hatte das Gefühl, gern gehört zu werden; leider war das Gespräch mit Ihrer Frau Mutter und Frl. Schwester zu kurz; es kamen andere dazwischen und auf einmal waren sie weg, sodaß ich keinen rechten Eindruck gewinnen konnte; um so mehr freut mich, daß meine Rede Ihnen gefallen hat. - - -

Ich sitze jetzt so viel wie möglich auf meinem Balkon, der von blauen Glycinien märchenhaft überrankt ist, und mir nach 4 Kriegsjahren zum ersten Mal wieder das Gefühl einer Freude an der Natur gibt; denn im Krieg war die Natur entweiht; man hatte das Gefühl, daß ein Riß durch sie hindurchgeht; in jedes unvorstellbare Glücksgefühl über ihre Schönheit mischte sich die Reflexion auf das Grauenvolle...

An Ihren Ritten möchte ich wirklich teilnehmen, und wäre bereit sogar noch mehr als meine ganzen Kollegeinnahmen (!?) zu opfern; doch würde ich wohl das Segeln vorziehen...

Wie es Pfingsten wird, kann ich noch nicht sagen; meine Schwester ist nämlich auf 3 Monate nach d gereist und mein Schwager will nun mit mir zusammensein; ein Wunsch, dem ich mich vielleicht nicht versagen kann! - Vor allem aber warte ich von Tag zu Tag vergeblich auf Nachricht von e; ist mein letzter Brief nicht angekommen; oder ist was mit ihr los? Sagen Sie ihr doch bitte, daß ich sehr warte, um mich entschließen zu können.

Herzliche Grüße und spätestens im Sommer
auf Wiedersehn!
Ihr f.

Fußnoten, Anmerkungen

Register

aBerlin-Friedenau
bBahr, Anna-Margareta
cBerlin-Zehlendorf
dSchweden
eSalz , Lotte
fTillich, Paul

Überlieferung

Signatur
Deutschland, Marburg, Philipps-Universität Marburg, Deutsches Paul-Tillich-Archiv, 008 B
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Berlin-Friedenau - unbekannt

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Paul Tillich an Anna-Margarete Bahr vom 29. Mai 1919, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00614.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L00614.pdf