Liebes Großmütterlein – auch Enkelin
genannt!
Liebe Tante Grete – auch Gretsch
benamst!
Etwander schreibt Ihr mir
Lieblichkeiten, was ich Euch danke; denn jedwede Post, von Hause entsendet, macht
Freude in fernem Land. Auch wenn sie inhaltlich mit
guten Dingen verbunden ist, würde niemand hierzulande sie verachten. Wie wärs, kleine
liebe
Großmama, wenn Du Dich im Müggelsee auf ein Flugzeug setztest, mit
Zwischenlandungen nach Nogent zu unserer
Fliegerstation flögst, und von dort von mir auf meinem Schimmel abgeholt würdest!
Er
ist stark genug Dich noch zu tragen! Schlafen würdest Du in meinem Schrank-Bett, das
ich mit keinem Bett vertauschen möchte! Und dann würde ich Dir alles zeigen, zu Fuß,
zu Pferde, zu Wagen, zu Auto, wie Du befiehlst. Erst würden wir aus unserm
vergitterten Eisenfenster herausgucken, und an einer der
Protzen,1]
die dort stehen, unsern Weihnachtsbaum sehen. Dann würdest Du eine weite dreckige
Flucht mit sehr viel Mist und Stroh sehen, die Reste eines früheren
Biwuaks2];
vielleicht auch (pst! nicht vorlesen!) auf einem Querbalken 1/2 m über der Erde einen
Körperteil, von dem man nicht spricht, minder bekleidet, aber in Tätigkeit, mit einem
dazu |
gehörigen Soldaten, den seine Kameraden eben in diesem Augenblick
mit faulen Birnen beschmeißen, ein Bild für Teniers
(bei Frede zu erfragen!) – dann würden wir
herausgehen auf unsern Hof, durch tiefen Dreck waten, und am Eingang einer tiefen
Höhle stehen, in der viele Pferdestehen↓stampfen↓, in der es raucht und in der Weihnachtslieder gesungen werden.
Dann würden wir rechtsum gehen eine Straße aufwärts an 10 Soldatengräbern vorbei mit
weißen Holzkreuzen und Epheu eine Viertelstunde bis zu einem Rübenfeld. Da würde ich
Dir ein ganz tiefes Loch zeigen dicht am Weg, so tief, daß Du stehend drin
verschwinden würdest, und würde Dir erzählen, daß da vor 8 Tage eine
schwere französische Granate explodiert ist. Dann würde ich sagen: Nun kehrt! Denn
es
ist 10 Uhr. Die Luft ist klar, gleich werden die Franzosen anfangen. Kaum gesagt,
würde ein mächtiger Krach losgehen, Du würdest Todesschreck kriegen; ich aber lachen
und sagen: das sind ja unsere schweren bei Tartiers, da drüben: Wenn es so zischt, dann sind
es unsere. Auf einmal ein Gerumpele und gleich nachher 3 scharfe Knalle. Ich würde
Dir drei Rauchwolken zeigen und sagen, dahinten: drei feindliche Granaten in den
Schützengräben bei Nouvron; die vierte
war ein Blindgänger, |
der nicht explodiert ist, wie so viele französische.
Da wird noch manch Bauer beim Pflügen in die Luft gehn! Auf einmal siehst Du einen
kleinen Blitz in der Luft und dann ein weißes Wölkchen, das immer größer wird. Und
dann hörst Du einen Knall und ein ganzen hohes scharfes Zischen.
Sie streuen mit Schrapnells die Höhe ab, erläutere ich. Sie verschwenden viel
Munition darauf und treffen fast nie was. Wieder macht es bumbum, und dann nehme ich
Dich plötzlich an der Hand und¿¿¿↓renne↓ mit Dir an die Wegböschung und rufe: „ducken“; ich habe ein Zischen
gehört, und Du auch, gemein, angreifend, teuflisch, eine feindliche Granate, die auf
dem Rübenfeld einschlägt, wo wir herkommen. Ich bleibe geduckt bis die nächste Ladung
vorbei ist, dann gehen wir nach Bieuxy zurück. Du
fragst mich, was das für ein Hämmern ist und Knacken; ich horche und begreife
endlich, daß Du das französische Maschinengewehr und die Patrouillenschießerei bei
Nouvron meinst, das man Tag und Nacht
hört. –
Dann ruhst Du Dich in meinem Zimmer aus von der angreifenden
Expedition, findest aber, daß die ca. 400 Fliegenleichen nunmehr zu Weihnachten von
den |
Wänden entfernt werden könnten, nimmst Dir einen Stuhl und reibst sie
mit der Fliegenklappe ab. Dann findest Du, daß auf meinem Schreibtisch 20 alte
Schachteln, noch mehr Briefumschläge, alte Zeitungen u.s.w. überflüssig die
kriegerische Verwirrung vermehren und machst Dich an die Arbeit. Daß ich meine Beine
statt auf Dielen und Teppich in eine Strohkiste halte, macht Dir viel Kopfschütteln.
Dann führe ich Dich zu dem Gutshof, wo wir Mittag essen. Exzellenz führt Dich zu Tisch und plaudert mit
Dir über die 70er Jahre; er hat sein Eisernes Kreuz 2ter
damals3] als Leutnant verdient. Es gibt Champignons aus der
Höhle gegenüber Soissons, wo wir beide am
nächsten Tag hinfahren und Sekt, den letzten in ganz
Nordfrankreich. Denn es ist ja Weihnachten. … Wie wärs, liebes Großmampilein! Hättest Du nicht Lust? Es wird mir eigentlich recht
schwer, ein Weihnachten mir vorzustellen, wo ich nicht an Deiner rechten Seite sitze!
Dir wird dieses Weihnachte ja auch nicht leicht werden! Und doch, ob hier,
ob dort: Es ist Weihnachten und nirgends mehr, als in den Höhlen an
der Aisne, beim brennenden Christbaum, unter dem Donner der Kanonen. Krippe und
Höhle, das ist eins – Trotzallem: