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den 23.10.1913

Lieber Tillich,

Sie baten mich einmal, nicht über Ihr Verhältnis zu Greti nachzudenken, wenigsten nicht in kritischem, zweifelndem Sinne. Sie haben damit eine Forderung gestellt, die ein Mensch wohl kaum erfüllen kann, der in meiner Lage ist.— Trotzdem versuche ich, Ihre Liebe zu Greti zu verstehen, weil es bei diesen Verhältnissen ja das Schönste wäre, was es noch geben könnte wenn zwischen Greti und mir nichts stände. — Aber ich glaube doch, daß Greti selbst garnicht dazu im Stande ist. Ich glaube nicht, daß ich ihr jemals wirklich nah stehen kann.— Tillich, glauben Sie, daß ich wirklich Ihre Freundin bin? Glauben Sie, daß ich nichts so sehr wünsche, wie Ihr Glückl?— Ich fürchte, Sie halten mich zu all dem für zu selbstsüchtig. Aber, auch, wenn Sie mir nicht recht trauen, dann sollen Sie jetzt auf | meinen Rat hören, denn ich habe um ihretwillen schon so viel gelitten, daß ich das Recht habe, irgendwelchen Einfluß, auf sie zu haben. Nicht wahr, Tillich? Sehen Sie, in all den letzten Tagen, wo ich immerzu an Sie dachte, überfiel mich eine Unruhe, weil Sie so garnichts von sich hören ließen. Das hat hoffentlich keinen ernsthaften Grund. Dox hat mich nämlich etwas aufgeregt, weil er Ihnen so abgeraten hat, Greti zu heiraten. Ich möchte Sie so bitten, bleiben Sie nicht immerzu in Butterfelde. Sie müssen sich doch jetzt einmal von Greti trennen, denn seit Sie Greti gefunden haben, waren Sie ja immer mit ihr zusammen, also immer unter ihrem unmittelbaren Einfluß. Ich glaube, daß Greti durch ihre Gegenwart gewaltige Macht über Sie hat. Deshalb müßten sie sich einmal ein Vierteljahr mindestens von ihr trennen. Natürlich werden | Sie wieder mich auslachen, wo mir doch alles so ernst ist, und sagen, Sie wären alt genug, zu wissen, was Sie tun. Lachen Sie mich, bitte, aus, wenn Sie nur tun, was ich erbitte. — Sie sagen natürlich, ich wollte all das nur aus persönlichem Interesse, aus selbstsüchtigen Gründen. Wenn Sie das denken, bin ich traurig, aber ich bitte Sie trotzdem darum. Greti beherrscht so sehr jede Situation. Sie ist äußerlich so vollkommen und imponierend, aber sie ist hart und unerbittlich, das fühle ich, sie ist das, glaube ich, gegen jeden, weil sie es gegen sich selbst ist, außer gegen Sie. Ich wünschte aber, Sie bekämen eine Frau, die nicht hoch von sich selbst denkt, sondern die sich selbst ganz schwach und klein vorkommt, und die doch all Ihre Interessen versteht, die Sie mit sich ziehen können ans Licht, in dem Kampfe, den Sie kämpfen. Denn Ihr ganzes Leben ist doch ein Suchen nach | Gott. Und ich glaube, Greti ist nicht gerade eine suchende Natur.— Vielleicht nehmen Sie es mir übel, daß ich urteile, ohne gut zu kennen. Geliebter Freund, ich möchte Ihnen nicht wehe tun, u. ich habe doch eine unsägliche Angst um Sie, vielleicht ist Greti ja ganz anders. Ich würde mich wirklich freuen, wenn Sie mir das sagten. Aber ich bitte Sie, ich kann das nicht unterlassen, trennen Sie sich erst eine Zeit von Greti, denn es ist doch fürs ganze Leben, daß Sie sich dann binden. — Ich wenigstens möchte nie einen Mann heiraten, mit dem ich nicht zusammen beten könnte. Denn das ist doch die Hauptsache, besonders für Sie. Denn Sie haben doch Ihre Hauptaufgaben darin bekommen, Menschen zu Gott zu führen, weil Sie das können. — Kommen Sie doch, bitte, bald! Ich muß mal wieder mit Ihnen reden, und, wenn Sie nicht kommen können, dann Schreiben Sie mir wenigstens einen Brief.— Und dann denken sie auch ein wenig an Johanna, die Sie so sehr liebt — vielleicht | zu sehr. – –Schreiben Sie mir doch umgehend. Ich muß mal wieder von Ihnen hören. Mein Herz beunruhigt sich um Sie. Mein lieber, lieber Tillich! Denken Sie daran, daß ich Sie immer treu lieben will, auch ohne zu besitzen! Ich beteaber für Sie!

Ihre
Maria Klein.
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