Lieber Herr Tillich,
herzlichen Dank für Ihren Brief, der mich zwiefach berührte.
Muß mich der ehrenvolle Ruf, den Sie vielleicht nach Bonn erhalten,
für Ihr äußeres Fortkommen mit Freude erfüllen, so bedaure ich doch
unendlich, wenn uns Ihre energische zielbewußte Kraft verloren ginge,
zwar nicht so im Interesse der weiteren Vortragsabende vor gemischtem
Publikum, als besonders unsertwegen, ich meine derjenigen, die Sie zu
Rednern, Anregern, Gewißensstachlern ausersehen hatten. Sie wissen,
ich stand von Anfang an den breiteren Kreisen skeptisch gegenüber und
ich glaube Ihnen gern, daß Sie vom Kapital genommen haben, statt sich
auf die Zinsen |
beschränken zu können. Sie erinnern sich auch, daß
ich Ihnen als Führer noch mehr Stoßkraft wünschte, noch größere
Sichtbarkeit all der Feuer, die Ihnen die Überzeugung und Klarheit
innerlich wie entzündet haben. Sie waren immer mehr wie ein Dolmetscher
vor Gericht, der die flammenden Ausführungen des Klienten sachlich ins
Verständliche übersetzt, ohne dem inneren Impetus deshalben gerecht
werden zu können. Sie werden nur sagen, die Gründe müssen an sich wirken.
Ich erwidere Ihnen, Gründe zünden bei den wenigsten, bei Frauen schon
garnicht, wohl aber die reine Darstellung des jeweils inneren Zustandes
mit allen seinen durch Ort oder Menschen veranlassten Gemütsschwankungen.
Eine reine Idee verknüpft sich immer mit dem Träger der Idee, wird durch
ihn erst in letztem Sinne plausibel. Daß Ihre Ideen an Ihnen nicht letzten
Endes gläublich erschienen, |
war der Grund des nur teilweisen Erfolges.
Wenn ich — vorausgesetzt, daß der Keim Ihres Lebens die Predigt (im besten
Sinne), die Weckung im Stachelung des andern ausmachen wird, und nicht die
reine Wissenschaft — den Accent auf Ihre nächste Lebensübung setzen dürfte,
ich würde ihn nicht so auf " Wissenschaftliche Vertiefung und Verbreiterung"
setzen, als auf die vermehrte Ausdrucksfähigkeit im Gedanken. Austausch mit
heterogenen, bes. lebendigen Menschen. Gerade das hätte ich mir so sehr
gewünscht und bitte lassen Sie, falls Sie hier bleiben, Ihren Gedanken an
einen "engeren Kreis" mit den Besten nicht fallen; daß Sie als Führer solchen
Zirkels im Mittelpunkte brennender Diskussionen stünden und damit sich und
uns die Kräfte vermehrten, die in dem Kampfe um das Gewissen (Wahrheit und
Wahrhaftigkeit fällt beiguten geläuterten Menschen zu|
sammen) so
ungeheuer notwendig sind.— Sie wundern sich vielleicht, daß ich als Künstler
so "abirre". Es ist mir in der letzten Zeit zur Gewißheit geworden, daß
meine Kunst nur Sinn hat, wenn sie von solcher Ethik durchsättigt ist.
Erst, wenn ich ein gereinigter Mensch bin, so fühle ich jetzt, habe ich des
Recht Kunst zu schaffen. Ich habe leider zu viel, was Ihnen fehlt: die
geschmeidige, blitzschnelle Anpassung an Ort und Menschen. Die daraus
notwendig resultierende Lauheit der regen angenommenen Meinung kränkt
mich tief und ich hoffte gerade, im Verkehr mit Ihnen massiver zu werden,
wohingegen ich Ihnen meine Menschen Behandlung gezeigt hätte. Doch wenn
ich schon etwas von Ihren Klarheiten verspüre, so kenne ich doch nicht Ihre
Kämpfe und nächsten Ziele, Vielleicht liegen diese meine Gedanken weit ab
von Ihnen. Auf alle Fälle darf der enge Kreis nicht auseinander. Wenn Sie
auch fortgehen, so muß eine Fühlung bestehen bleiben. Doch darüber mündlich!