Brief von Rudolf Klutmann an Paul Tillich vom 28. August 1913

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Friedenau , den 28.08.1913

Lieber Herr Tillich,

herzlichen Dank für Ihren Brief, der mich zwiefach berührte. Muß mich der ehrenvolle Ruf, den Sie vielleicht nach Bonn erhalten, für Ihr äußeres Fortkommen mit Freude erfüllen, so bedaure ich doch unendlich, wenn uns Ihre energische zielbewußte Kraft verloren ginge, zwar nicht so im Interesse der weiteren Vortragsabende vor gemischtem Publikum, als besonders unsertwegen, ich meine derjenigen, die Sie zu Rednern, Anregern, Gewißensstachlern ausersehen hatten. Sie wissen, ich stand von Anfang an den breiteren Kreisen skeptisch gegenüber und ich glaube Ihnen gern, daß Sie vom Kapital genommen haben, statt sich auf die Zinsen | beschränken zu können. Sie erinnern sich auch, daß ich Ihnen als Führer noch mehr Stoßkraft wünschte, noch größere Sichtbarkeit all der Feuer, die Ihnen die Überzeugung und Klarheit innerlich wie entzündet haben. Sie waren immer mehr wie ein Dolmetscher vor Gericht, der die flammenden Ausführungen des Klienten sachlich ins Verständliche übersetzt, ohne dem inneren Impetus deshalben gerecht werden zu können. Sie werden nur sagen, die Gründe müssen an sich wirken. Ich erwidere Ihnen, Gründe zünden bei den wenigsten, bei Frauen schon garnicht, wohl aber die reine Darstellung des jeweils inneren Zustandes mit allen seinen durch Ort oder Menschen veranlassten Gemütsschwankungen. Eine reine Idee verknüpft sich immer mit dem Träger der Idee, wird durch ihn erst in letztem Sinne plausibel. Daß Ihre Ideen an Ihnen nicht letzten Endes gläublich erschienen, | war der Grund des nur teilweisen Erfolges. Wenn ich — vorausgesetzt, daß der Keim Ihres Lebens die Predigt (im besten Sinne), die Weckung im Stachelung des andern ausmachen wird, und nicht die reine Wissenschaft — den Accent auf Ihre nächste Lebensübung setzen dürfte, ich würde ihn nicht so auf " Wissenschaftliche Vertiefung und Verbreiterung" setzen, als auf die vermehrte Ausdrucksfähigkeit im Gedanken. Austausch mit heterogenen, bes. lebendigen Menschen. Gerade das hätte ich mir so sehr gewünscht und bitte lassen Sie, falls Sie hier bleiben, Ihren Gedanken an einen "engeren Kreis" mit den Besten nicht fallen; daß Sie als Führer solchen Zirkels im Mittelpunkte brennender Diskussionen stünden und damit sich und uns die Kräfte vermehrten, die in dem Kampfe um das Gewissen (Wahrheit und Wahrhaftigkeit fällt beiguten geläuterten Menschen zu| sammen) so ungeheuer notwendig sind.— Sie wundern sich vielleicht, daß ich als Künstler so "abirre". Es ist mir in der letzten Zeit zur Gewißheit geworden, daß meine Kunst nur Sinn hat, wenn sie von solcher Ethik durchsättigt ist. Erst, wenn ich ein gereinigter Mensch bin, so fühle ich jetzt, habe ich des Recht Kunst zu schaffen. Ich habe leider zu viel, was Ihnen fehlt: die geschmeidige, blitzschnelle Anpassung an Ort und Menschen. Die daraus notwendig resultierende Lauheit der regen angenommenen Meinung kränkt mich tief und ich hoffte gerade, im Verkehr mit Ihnen massiver zu werden, wohingegen ich Ihnen meine Menschen Behandlung gezeigt hätte. Doch wenn ich schon etwas von Ihren Klarheiten verspüre, so kenne ich doch nicht Ihre Kämpfe und nächsten Ziele, Vielleicht liegen diese meine Gedanken weit ab von Ihnen. Auf alle Fälle darf der enge Kreis nicht auseinander. Wenn Sie auch fortgehen, so muß eine Fühlung bestehen bleiben. Doch darüber mündlich!

Inzwischen herzlichste Grüße
Ihres R. Klutmann
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