Brief von Eduard Le Seur an Paul Tillich vom 29. Juli 1913

|
Charlottenhof b. Vietz , den 29.07.1913

Lieber Freund!

Weil ich nicht weiß, wo Sie Sich aufhalten, schrieb ich vor gut 3 Wochen an Wegener, lud ihn zu mir ein, bat ihn dringend, Sie womöglich mitzubringen u.und sagte ihm, daß es sich nicht nur um meinen Wunsch eines freundschaftlichen Zusammenseins mit Ihnen beiden handele, sondern auch um die Mitteilung, daß ich an den Diskussionsabenden als Referent nicht würde teilnehmen können. — Ich erhielt leider keine Antwort, weiß also auch nicht, ob Sie benachrichtigt worden sind.— In der Hoffnung, daß Sie diese Zeilen via Petersens erhalten werden, schreibe ich Ihnen deshalb direkt. Schon im vorigen Winter wars für mich, wie | Sie wissen, rasend schwer, die Zeit für die Teilnahme an unsern Abenden zu erobern. Ich glaube, daß es im nächsten Winter ganz unmöglich sein wird. Ich habe die Absicht, neben allem andern wöchentlich religiöse Vorträge zu halten, also eine außerordentliche Mehrbelastung.— Nun können Sie einwenden, daß es ja bei mir stehen würde, diese Neu-Einrichtung zu unterlassen. Aber erstens bin ich der Meinung, daß sie einem Bedürfnis der Gemeinde entspricht und zweitens, daß ich da mehr in meinem Fahrwasser bin, als auf den Diskussions-Abenden.— Denn, lieber Freund, ich bin mir der Grenzen meiner Fähigkeiten sehr wohl bewußt. Ich sehe Ihre Arbeit als eminent wichtig u.und segensreich an, aber daß ich nicht der Mann dafür bin, habe ich im letzten Winter erkannt. Oder besser: Ich mußte es erahnen, daß es mir an der erforderlichen philosophischen Bildung dazu fehlt (habe es ja auch stark betont), hoffte | aber, gerade angeregt durch die gemeinsame Arbeit mit Ihnen, die erkannten Lücken allmählich ausfüllen zu können. Doch gebrach es schon an der Zeit, die Abende fleißig besuchen zu können, wieviel mehr noch dafür, daß ich die erwünschten Studien treiben konnte!— Nun war ich zunächst Optimist genug, um für den kommenden Winter dieselbe Hoffnung zu hegen u.und stimmte Ihnen deshalb zu, als Sie mir neulich zwei Themen übertrugen. Dann aber wurde ich durch verschiedene Umstände auf jene religiösen Vorträge, mit denen ich ziemlich weitgehende Pläne verfolge, gestoßen u.und da war mir klar, wofür ich mich entschließen mußte. Ich möchte auch in Zukunft, soweit ich irgend vermag, an den Abenden in Lichterfelde teilnehmen, aber frei; weder als Referent, noch als Einladender, sondern nur als Eingeladener. Nehmen Sie mir meine nachträgliche Absage | nicht übel! Ich glaube bestimmt, daß ich Sie in keine Verlegenheit dadurch bringe. Es ist ja noch früh, u.und Ihnen stehen Mitarbeiter in Hülle und Fülle zu Gebote, die der Aufgabe besser gewachsen sein werden als ich. Ja, ich denke mir, daß Sie sogar aufatmen werden, wenn ich Sie von mir als recht untauglichem Mitarbeiter befreie.— Bis zum 18. Aug. habe ich Urlaub. Ich würde mich riesig freuen, wenn ich Sie recht bald danach mal wieder bei mir haben könnte. Wenn Sie mir auch weiterhin die Freude Ihres Umganges gewähren, dann werde ich vielleicht doch noch etwas tauglicher mit der Zeit, mit Ihnen an einem Strange zu ziehen.

Mit herzlichem Gruß
Ihr treuergebener Eduard LeSeur.
    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    Orte: