Lieber Tillich,
ich weiß zwar nicht,
warum Sie mir auf meinen vorigen
Brief nicht geantwortet haben,
aber vielleicht hatten Sie nicht genug
Zeit. Wissen Sie, jeden Tag denke ich
alles noch einmal durch. Ich muß Ihnendaß doch sagen, zu welchem Schluß ich
gekommen bin. Ganz objektiv: Es ist auch
für mich unmöglich, eine Ehe einzugehen
mit einem Manne, der mich
nicht liebt, denn ich will nicht aus
Mitleid womöglich geheiratet werden.
Obgleich eine Stimme in meinem
Inneren dagegen sagt: "Nur
ihn besitzen, das muß dir genug
sein, daß du ihm ohne Rückhalt Liebe
erweisen kannst." Aber diesen Gedanken
verwerfe ich. Denn ich kann
nicht nurdie S den Leib besitzen
sondern ich will die Seele haben.
Ganz, soweit das zwischen zwei Menschen
auf der Erde möglich ist. Sie sollen
alles wissen, was ich darüber den|
ke.
Auch sollen Sie wissen, daß
ich doch glaube, daß es wahrhaft
glückliche Ehen gibt. Ich weiß,
daß Sie das nicht zugeben. Und
ich weiß auch, daß Sie von Gott
nicht dazu bestimmt sind, unverheiratet
zu bleiben. Obgleich
Sie das Gegenteil glauben, haben
Sie mehr Liebe zu den Menschen,
wie die meisten anderen. Als ich
heute Vormittag wieder Ihre
Osterpredigt las, da merkte ich
so recht, wieviel Liebe in Ihnen
ist. Dann ich weiß doch, daß Sie
nichts predigen, was Sie nicht selbsterh erlebt haben. Gerade weil Sie
so viel wahre Liebe in sich haben,
deshalb erscheint es Ihnen noch
lange nicht genug. Und Gott hat
sicher für sie auch eine Seele bestimmt,
eine Seele, die nur
dazu da ist, mit Ihnen vereinigt
zu werden. Vielleicht haben
Sie sie noch nicht gefunden — vielleicht
|
auch noch nicht erkannt, denn die
Seelen müssen sich erkennen als
zueinandergehörig. Sie sollen sie
(die Seele) aber suchen. Bitte, denken
Sie jetzt nicht, daß ich mich damit
meine, obgleich ich für mein
Teil, das glauben muß und
darf. Wenn ich Sie wahrhaft liebe,
dann kann ich Ihnen nur Glück,
wahres Glück, auch auf Erden,
wünschen. Vielleicht muß Ihre
Ihre Frau noch klüger und verständiger
sein, als ich. Oder, das ist
ja Unsinn. Vielleicht meint
Gott, ich passe doch nicht zu
Ihnen, deshalb können Sie
auch nicht lieben, aber ich glaube,
dann hätte er auch mir
nicht diese Liebe ins Herz gegeben.
Hier ist ein großer Zwiespalt
in meinem Inneren
es kommt mir alles paradox
vor. — Auch kann ich nur in ruhigen
Stunden alles so objektiv
überlegen. Meistens kann ich nur
|
den einen Gedanken, das eine Gefühl
fassen, daß ich Sie liebe, so
ohne Ende liebe. Meine Seele,
mein ganzer Körper drängt
dann zu Ihnen! Aber ich kann
es doch, ich muß es können, und
wenn ich daran sterben müßte,
IhnenG die Seele zu wünschen,
die für Sie geschaffen ist, und
wenn ich d es nicht bin, dann
eben die andere. Aber Sie sollen
ganz, ganz glücklich sein. Denn
Sie haben doch im Leben so viele
Aufgaben zu erfüllen, da sollten
Sie es nach all der schweren Arbeit
wenigstens zu Hause schön
haben. Nein, Sie sollen nicht immer
so einfach sein, und sich
schließlich überarbeiten. Sie müssen
bald die für Sie bestimmte
Seele finden. Sie dürfen auf
mich dann keine Rücksicht nehmen,
ich wäre sonst noch unglücklicher.
Aber mein liebster Freund sind Sie
immer! Und, wenn ich einmal zärtlich
gegen Sie bin, dann fassen Sie es
freundschaftlich auf! Ich will und muß
|
ja tapfer sein. Ach, schreiben Sie mir! Geliebter Freund.
Sie sind geliebt, ich nicht. Wer hat es bitter? Ich möchte die Liebe zu Ihnen nicht entbehren, ich möchte lieber einseitig lieben, als einseitig geliebt werden. Man wird so doch reicher. Ich gebe mich Ihnen so hin, wie es von Mensch zu Menschmöglich ist – Auch in diesem Brief. – – Können Sie mir nicht gleich hierher schreiben?