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Eldena, Greifswald bei Prof. D. Kögel. , den 29.07.1913

Lieber Tillich,

ich weiß zwar nicht, warum Sie mir auf meinen vorigen Brief nicht geantwortet haben, aber vielleicht hatten Sie nicht genug Zeit. Wissen Sie, jeden Tag denke ich alles noch einmal durch. Ich muß Ihnendaß doch sagen, zu welchem Schluß ich gekommen bin. Ganz objektiv: Es ist auch für mich unmöglich, eine Ehe einzugehen mit einem Manne, der mich nicht liebt, denn ich will nicht aus Mitleid womöglich geheiratet werden. Obgleich eine Stimme in meinem Inneren dagegen sagt: "Nur ihn besitzen, das muß dir genug sein, daß du ihm ohne Rückhalt Liebe erweisen kannst." Aber diesen Gedanken verwerfe ich. Denn ich kann nicht nurdie S den Leib besitzen sondern ich will die Seele haben. Ganz, soweit das zwischen zwei Menschen auf der Erde möglich ist. Sie sollen alles wissen, was ich darüber den| ke. Auch sollen Sie wissen, daß ich doch glaube, daß es wahrhaft glückliche Ehen gibt. Ich weiß, daß Sie das nicht zugeben. Und ich weiß auch, daß Sie von Gott nicht dazu bestimmt sind, unverheiratet zu bleiben. Obgleich Sie das Gegenteil glauben, haben Sie mehr Liebe zu den Menschen, wie die meisten anderen. Als ich heute Vormittag wieder Ihre Osterpredigt las, da merkte ich so recht, wieviel Liebe in Ihnen ist. Dann ich weiß doch, daß Sie nichts predigen, was Sie nicht selbsterh erlebt haben. Gerade weil Sie so viel wahre Liebe in sich haben, deshalb erscheint es Ihnen noch lange nicht genug. Und Gott hat sicher für sie auch eine Seele bestimmt, eine Seele, die nur dazu da ist, mit Ihnen vereinigt zu werden. Vielleicht haben Sie sie noch nicht gefunden — vielleicht | auch noch nicht erkannt, denn die Seelen müssen sich erkennen als zueinandergehörig. Sie sollen sie (die Seele) aber suchen. Bitte, denken Sie jetzt nicht, daß ich mich damit meine, obgleich ich für mein Teil, das glauben muß und darf. Wenn ich Sie wahrhaft liebe, dann kann ich Ihnen nur Glück, wahres Glück, auch auf Erden, wünschen. Vielleicht muß Ihre Ihre Frau noch klüger und verständiger sein, als ich. Oder, das ist ja Unsinn. Vielleicht meint Gott, ich passe doch nicht zu Ihnen, deshalb können Sie auch nicht lieben, aber ich glaube, dann hätte er auch mir nicht diese Liebe ins Herz gegeben. Hier ist ein großer Zwiespalt in meinem Inneren es kommt mir alles paradox vor. — Auch kann ich nur in ruhigen Stunden alles so objektiv überlegen. Meistens kann ich nur | den einen Gedanken, das eine Gefühl fassen, daß ich Sie liebe, so ohne Ende liebe. Meine Seele, mein ganzer Körper drängt dann zu Ihnen! Aber ich kann es doch, ich muß es können, und wenn ich daran sterben müßte, IhnenG die Seele zu wünschen, die für Sie geschaffen ist, und wenn ich d es nicht bin, dann eben die andere. Aber Sie sollen ganz, ganz glücklich sein. Denn Sie haben doch im Leben so viele Aufgaben zu erfüllen, da sollten Sie es nach all der schweren Arbeit wenigstens zu Hause schön haben. Nein, Sie sollen nicht immer so einfach sein, und sich schließlich überarbeiten. Sie müssen bald die für Sie bestimmte Seele finden. Sie dürfen auf mich dann keine Rücksicht nehmen, ich wäre sonst noch unglücklicher. Aber mein liebster Freund sind Sie immer! Und, wenn ich einmal zärtlich gegen Sie bin, dann fassen Sie es freundschaftlich auf! Ich will und muß | ja tapfer sein. Ach, schreiben Sie mir! Geliebter Freund.

Ihre
Maria Klein.

Sie sind geliebt, ich nicht. Wer hat es bitter? Ich möchte die Liebe zu Ihnen nicht entbehren, ich möchte lieber einseitig lieben, als einseitig geliebt werden. Man wird so doch reicher. Ich gebe mich Ihnen so hin, wie es von Mensch zu Menschmöglich ist – Auch in diesem Brief. – – Können Sie mir nicht gleich hierher schreiben?

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