Brief von Frida Winckelmann an Paul Tillich vom 5. März 1913

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Birkenweder , den 05.03.1913

Sehr geehrter Herr Pastor,

Ich hatte Ihnen bei unserm letzten Zusammensein die Aufsätze von Max Müller versprochen. Sie sprachen damals davon, daß die Aufsätze über den Buddhismn Sie interessieren würden; ich glaube, das Buch enthält auch manches andere das Ihnen von Interesse sein wird, vor allem den ersten und den achten Aufsatz. Ich habe das Buch ziemlich viel in der Mappe herumgeschleppt, hoffentlich stören Sie die Spuren davon nicht allzu sehr. Ich will es nicht erst binden lassen, weil sonst sicher | die Sendung auf den Nimmermehrstag verschoben wird. Und ich benutze doch gerade heut gern die Gelegenheit, um Ihnen noch einmal zu danken für das, was mir Ihre Vorträge, besonders der letzte gegeben haben. Ich hätte heut, nein gestern, auch manche Fragen und Zweifel dem Redner entgegenhalten wollen; aber schließlich verschwand jeder einzelne Einwand gegenüber dem Eindruck lebendigen religiösen Lebens und Gestaltens. Und schließlich ist dieses Lebendige ja das Einzige, das überzeugt und die Skepsis niederschlägt. - Übrigens, Sie meinten gestern, die Dekadence unserer Zeit gehe für Sie aus der absoluten Negation auf den Gebieten der | Theologie und Philosophie hervor. Wie weit das für die Theologie stimmt, kann ich nicht beurteilen. Aber ist auf philosophischem Gebiet nicht doch schon ein anderes am Werk? Ich denke an Bergson, bei dem ja gerade das Positive so stark hervortritt. Aber sicher kennen Sie ihn besser als ich. - Über das, wonach ich Sie gestern fragte, bin ich noch nicht ins Reine gekommen. Vielleicht darf ich mich gegebenen Falls noch einmal an Sie wenden. Haben Sie nicht Lust, nach all den Anstrengungen des Winters einmal ein paar Stunden in unserer wunderschönen Waldesstille zu verbringen? Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie einmal herauskämen; ich glaube, | Sie würden hier eine der schönsten Gegenden in der Nähe Berlins kennen lernen, und nach einem recht langen Spaziergang durch den Frühlingswald würden Sie dann Station in meinem Heim machen.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Frida Winckelmann.
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