Der editierte Text

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a 27. Okt. 1907. Bernburgerstr. 16 II
Lieber b!

Gehorsam meiner Pflicht sehe ich mich genötigt, meine sonstige Schreibfaulheit zu überwinden und Dich zu mahnen, daß Du der Bibliothekskasse noch 5,83 M. schuldest, um deren Einsendung ich dich hiermit ersuche.

Mit herzlichem Brudergruß

Dein

c th. [Darstellung: Wingolfzirkel.] ! (F-S) [Darstellung: Wingolfzirkel.] !

dzt. Bibliothekar

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Liebes d Cfm, F-P. und (x1)! Damit Du nun aber nicht denkst wir (d.h. ich) hätten Dich schon längst vergessen und zu den Toten gezählt, will ich jetzt versuchen alles mögliche was ich auf dem Herzen habe, Dir auszuschütten. Zunächst vielen vielen Dank für Deine Typs besonders für die Dedikation, durch die ich mich verständnisvoll getroffen fühle

– Statt dieses Gedankenstrichs mußt Du Dir einen 1 1/2 Stunden langen Besuch es und fs denken; wir haben während der Zeit einen langen Klagegesang gesungen von der lieben guten alten Zeit. Ja| die Zeiten ändern sich: Ein Rostocker Fux kann durch ein Einburschensemster in g ein sehr sehr überzeugter "Hallenser" werden wenn ers auch erst allmählich in den Ferien und noch später einsieht. Nach oder wohl schon auf dem ersten Konvent, da sahen sich die beiden traurigen Überreste der "äußersten radikalen Linken" veranlaßt, zu gestehen: "Jammer-jammer schade daß h nicht hier ist, der hätte dieser fruchtlosen Zeichnerei längst ein Ende gemacht. Wir haben ja immer gesagt der i ist kein j! Sela! Nun laß Dir den Schrecken nicht zu sehr in die Glieder fahren! Aber es war doch ein trauriges| Syptom [sic!] , daß der x plötzlich nicht mehr wußte, was er wollte, und, wie es schien, sich von k u. l beschwätzen ließ. m stimmte, natürlich ohne diese beiden recht zu kapieren, ihnen bei. Und nur dem zähen energischen Widerstand des kleinen n ists wohl zu danken, daß der x sich nicht ganz von jenen ins Schlepptau nehmen ließ. Wir andern Leute können ja leider nicht recht zu Worte kommen vor allem nicht in längerer zusammenhängender Rede. Also jetzt vernünftig: Es handelte sich um o-p. Wir wollten ihn (und so hatte es das A-H-C2 auch anfangs beantragt)| ihn sofort aufnehmen [sic!] , da dann q vor der vollendeten Tatsache aller Voraussicht nach garnicht reagieren würde. r wollte dagegen erst noch mal nach s schreiben, wir könnten ja dann nachher immer noch gerade so handeln wie wir jetzt wollten. – Wenn nun aber, wie so gut wie sicher anzunehmen war, t die Aufnahme uens nur unter solchen Bedingungen zugeben wollte, die v nicht erfüllen wollte noch konnte, dann – ja dann hätten eben viele Leute z.B. w und Consorten eben nicht mehr für xens Aufnahme gestimmt – und wenn y wider Erwarten| dann wirklich noch aufgenommen wurde, dann war z |:so:| vor den Kopf gestoßen, daß notwendigerweise Stunk entstehen mußte[.] Na schließlich fand sich auch ohne daß prinzipiell unsere Ansicht in der Debatte gesiegt hätte, eine Majorität dickköpfiger Westfalen und Ostfriesen, die dachten, frisch gewagt ist halb gewonnen, schlimmer kanns macht es |:jetzt:| ja doch nie werden wie es jetzt |:od. nachher:| würde. Aber 3 Stunden hatten wir uns gekibbelt ohne daß nach der ersten halben Stunde ein neuer Gedanke aufgetaucht wäre. aa meinte: Einen solchen Konvent hab ich hier noch| nicht erlebt! Causa finita.

Doch ich will nicht ungerecht sein.

ab sagte mir schon vor dem Konvent beim Abendwimmel: Heute Abend muß der Konvent mit mir etwas Geduld haben, ich habe wirklich keine Zeit gehabt, mich dazu zu präparieren! Wir wollen deshalb die Hoffnung nicht ganz aufgeben. Oder sollten die großen Tage acs zu Ende sein? Fangen jetzt schon die großen "überragenden Persönlichkeiten" an zu fehlen? Qui vivra, verra! "Ich dulde keine Schwarzseher" aber es gibt immer und überall Anker, hoffentlich gehöre ich dazu. Vielleicht müssen wir uns auch| nur erst einleben im neuen Sem. ohne Euch Alten mit manchen Neuen (bis jetzt 9 Füxe.).

Es ist doch ein wahrer Segen, daß ich nicht nach ad zurückgekommen bin zu Anfang der Ferien, als mein ae und af mir vorschwärmten, wie sehr sie ihr Semester genossen hätten da zogs mich mit Macht wieder dahin und ich beneidete sie um ihre Erlebnisse.

Aber dann als ich mich nun mit der harten unabänderlichen Tatsache: Zurück nach ag! abfinden mußte, da stieg dämmerte mir dann so allmählich daß Prinzipkonvente und Prinzipkämpfe beim Kaffon oder Familienabend doch nicht spurlos| u. zwecklos an mir vorübergegangen seien und daß ich daneben zwar nicht die öden Straßen ah aber einige Leute schätzen und lieben gelernt hatte. – Hast Du schon von ais Rückkehr gehört? Wenn nicht, so wird Dichs sicher sehr freuen. Also aj wollte ja jedenfalls von ak fort. (dies Schauernest etc) Er entschloß also sich für al, fährt auch hin, sieht sich einen Tag die Stadt an, die ihm ja leidlich gefällt, den nächsten die Verbindung, die ihm weniger behagt, er hatte eben doch zwei Sem. Hallenser Luft geatmet und – fährt schnurstracks nach am zurück. Ich sage Dir, wie der abends plötzlich auf die Kneipe kam| das war ein Halloh! Es war wirklich zu glänzend wie er dann erklärte: Ja ich fühlte in an würde ich doch alleine stehen und ihr saßt hier drin alle so gemütlich zusammen das konnte ich nicht aushalten! – Ja, wirklich, die Freunde machen doch mit die Verbindung aus, d. h. sie sind es, die einen in einer Stadt festhalten; daß Du nicht mehr hier bist, spürt mancher und nicht nur auf dem Konvent!

Aber damit will ich Dir nicht das Herz schwer machen. Man hätte zuweilen gern noch jemanden, der einen weiterführte doch kommt sonst "die Stunde" vielleicht| schneller heran, oft ja aber |:ist:| leider Denken kein Wille und manchen Kerlen fehlt die Energie und manchen mangelt die Fähigkeit zur Kraft sich durchzukämpfen, ja überhaupt durch zu denken! Infam daß ich das schreibe! Zumal da ich jetzt eigentlich gar nicht, mich solch trübseliger erschlaffender Resignation ergebe sondern zur Zeit gerade genügend Selbstvertrauen habe. "Mancher wird zum Verbrecher, weil man ihn dafür hält" Vielleicht ist das Umgekehrte auch zuweilen der Fall! Doch nun ists genug! Zwar paßt der Scherz auf der ersten Seite nun nicht mehr recht zu dem Übrigen aber wenn Du Dich| in mir verrechnet hättest, dann hätte ich nach den eigentlich gar nicht vorhandenen "intimen" Gesprächen auch so etwas schreiben können. Nicht wahr? ao hat mich auch durch ap namentlich grüßen lassen, ich kenne den Menschen ja gar nicht, aber ich möchte ihm doch wohl mal schreiben! Ja: Warum?

Nun zum Schluß viele herzliche Grüße in treuer Dankbarkeit
Dein Zögling3 aq. th. [Darstellung: Wingolfzirkel.]

Fußnoten, Anmerkungen

1Als X bezeichnet man einen Erstchargierten oder Fux. Der X fungiert als Sprecher der Verbindung.
2Gremium, das die Beschlüsse des Convents vorbereitet.
4Jungbursch = Mitglied der Verbindung im 3. Semester.

Register

aHalle (Saale)
bTillich, Paul
cVethake, Hans
dTillich, Paul
eNickelby, C.
fKilger, Albert
gHalle (Saale)
hTillich, Paul
iBalke, Hans
jTillich, Paul
kRitter, Rudi
lFritsch, ???
mGaul, ???
nKremer, ???
oLotz, Ernst
pErlangen
qErlangen
rRitter, Rudi
sErlangen
tErlangen
uLotz, Ernst
vLotz, Ernst
wGaul, ???
xLotz, Ernst
yLotz, Ernst
zErlangen
aaNickelby, C.
abBalke, Hans
acHalle (Saale)
adRostock
aeVethake, Bruder
afVethake, Wilhelm
agHalle (Saale)
ahHalle (Saale)
aiHeydemeyer, ???
ajHeydemeyer, ???
akHalle (Saale)
alMünster
amHalle (Saale)
anMünster
aoSchafft, Sepp
apBalke, Hans
aqVethake, Hans

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974., bMS 649/200(51)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Halle - unbekannt
voriger Brief in der Korrespondenz
Postkarte von Hans Vethake an Paul Tillich vom 19. August 1907

Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Hans Vethake an Paul Tillich vom 27. Oktober 1907, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00231.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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L00231.pdf