Brief von Hans Schreiber an Paul Tillich vom 20. September 1907

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Der editierte Text

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a den 20.9.07.
Lieber b!

Ich schäme mich sehr, daß ich Dir nicht zum 20.8.07 geschrieben habe, ich wußte es wirklich nicht. Heute haben wir nun den 20.9.07.! Ob ich Dir da noch nachträglich gratulieren darf!?

Im Geiste sehe (und höre!) ich Dich vor mir, wie Du mit den schwierigsten, musikalischen Transpositionen ein Liedlein nach dem andern pfeifst. Ach es waren doch schöne Zeiten in c! Aber einen so elegischen Ton anzuschlagen wie Du in Deinem Briefe1, das bringe ich nicht fertig. Auf der längeren Reise sind zahllose, neue Eindrücke und Anregungen auf mich eingestürmt und da hatte ich nicht viel Muße, über Halle und die schöne Zeit dort nachzudenken. Das ging wohl am Strande in d besser. Aber ich glaube, es geht meiner Natur überhaupt die Fähigkeit ab, in ruhiger Betrachtung verflossener Tage Wert ruhig abzuschätzen. Dagegen kann ich, ohne kaput zu gehen oder nervös zu werden, viele neue Eindrücke in mich aufnehmen. Aber| die nötige, innere Verarbeitung fehlt oft.

Ich hoffe, Du hast Dich gut erholt, und Du scheinst ja fröhlich und tüchtig an der Arbeit zu sein. Mit der oben angezeigten, mir mangelnden Eigenschaft hängt es auch zusammen, daß mir ruhiges, gleichtmäßiges Fortarbeiten so schwer wird. Aber ich will kein Klagelied anstimmen. Es ist doch schon besser geworden, und ich habe Einiges getan, wenn es auch noch mehr hätte sein können.

Übrigens Deine Anschauungen über die rechte Art des Studiums teile ich im Ganzen. Allerdings muß ich doch sagen: Etwas Stoff muß man den Problemen schon darreichen, sonst verhungern sie einfach. Wenn ich ein Problem habe, und ich studiere nicht ein wenig inbezug auf diese Frage, so geht es unter in dem Meere der Probleme, die zahllos dann auftauchen, ohne bis zu einem gewissen Ruhepunkte gebracht zu sein, ohne daß man sich auch nur ein wenig über diese Frage gena orientiert hat, ohne wirklich gefördert zu sein.

Man kann prächtig über Vielerlei disputieren.| Aber das hilft einem garnichts, wenn man nicht durch Studium in die betreffende Sache eindringt. Dann erst hat man wirkliche Förderung.

Fürchte nicht, daß ich hier unter "Stoff" hebräische Vokabeln oder etwas derartiges verstehe! Inbezug hierauf meine ich, daß man als Student doch wenigstens etwas übersetzen soll (A. u. N.T.) und Kommentare, etc. im Anschluß an Kollegs und Seminare durchschaffen soll. |:Die Hauptsache aber ist: Philosophie Dogmatik etc, also große Fragen!:|

Doch ich muß noch ein wenig erzählen!

Mit meiner Reise will ich Dich jedoch nicht aufhalten, da Du die im Rundbriefe2 hoffentlich schon gelesen hast oder noch lesen wirst.

Aber seitdem war ich auch schon wieder etwas unterwegs. Letzten Montag war ich auf dem Wingolfstag an der e. Es waren auch viel Hallenser dort. Mit f war ich dann im alten Gützel, das erste Mal als Student (wenigstens für länger). Mittwoch kam ich zurück. Sonnabend (Morgen) kommt g zu mir, der erste liebe Bruder in diesen Ferien. Dann am Montag besuche ich in der Nähe von h einen von den 7 Erlanger Ausgetretenen,| i, einen alten Schulkameraden von j her. Dienstag gehts von dort nach k, wo der "Allg. evangelisch-protestantische Missionsverein" tagt und l – Göttingen spricht. Mittwoch komme ich dann zurück, und damit hat das Reisen für diese Ferien ein Ende. Ich freue mich, daß ich dann noch ein paar Tage ruhig arbeiten kann, bis ich schließlich am 12. Okt. etwa über m nach n segle.

Vor nächstem Mittwoch schicke mir bitte das Protokoll des Schlußkonvents nicht zurück, ebenso auch die 9 Mk. die ich noch von Dir bemerke bekomme. Diese 9 Mk. bekomme ich noch für die letzte Rechnung von dem gemeinsamen "Wimmel-Betrieb" bei o, die ich allein bezahlt habe. Ich erinnere mich noch deutlich, wie ich mit Dir darüber verhandelte. Da Du aber gerade nicht wechseln konntest, unterblieb die Sache und nachher in der Eile haben wir es vergessen. Doch ich muß schließen. Sobald Du mir das Schlußprotokoll geschickt hast, schreibe ich es in das Buch, und ich denke, Ende nächster Woche hast hast Du die ganze Geschichte. Grüß bitte Deinen p, q, "r"!

Dich grüßt herzlich Dein getr. Freund.

Fußnoten, Anmerkungen

1Nicht überliefert.
2Nicht ermittelt.

Register

aWittlage
bTillich, Paul
cHalle (Saale)
dMisdroy
ePorta Westfalica
fVethake, Hans
gVan der Smissen, Gilbert
hBielefeld
iMeyer zu Stieghorst, ???
jGütersloh
kOsnabrück
lBousset, Wilhelm
mBremen
nHalle (Saale)
oWendelmuth, (Frau)
pTillich, Johannes Oskar
qFritz, Johanna
rWinkler, Toni

Überlieferung

Signatur
USA, Cambridge, MA, Harvard University, Harvard Divinity School Library, Tillich, Paul, 1886-1965. Papers, 1894-1974., bMS 649/183(2)
Typ

Brief, eigenhändig

Postweg
Wittlage - unbekannt
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Entitäten

Personen

Orte

Zitiervorschlag

Brief von Hans Schreiber an Paul Tillich vom 20. September 1907, in: Paul Tillich, Korrespondenz. Digitale Edition, hg. von Christian Danz und Friedrich Wilhelm Graf. https://tillich-briefe.acdh.oeaw.ac.at/L00213.html, Zugriff am ????.

Für Belege in der Wikipedia

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