Brief von Friedrich Banzhaf an Paul Tillich vom 18. August 1907

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Korntal b/Stuttg. d. 18. Aug. 1907.

Lieber Tillich!

Wenn mir mein Philistertestament richtig Bescheid sagt, so hast Du am 20. d. M. Geburtstag. Da möchte ich nun auch unter denjenigen nicht fehlen, die Dich zu diesem Tage beglückwünschen. Ich wünsche Dir für Dein neues Lebensjahr reichen Gottessegen. Vor allem hoffe ich, daß Du Dich gesundheitlich so erholst, daß Du ohne Gefahr Berlin mit seiner rauchigen u. stickigen Luft wieder aufsuchen kannst, um dort dann aus Büchern groß und klein Deinen Weisheitsdurst zu stillen; denn der muß ja nach der großen Statutenrevision groß riesengroß sein. Wenn ich nur auch etwas von Deinem großen Wissensdurst besäße. Ich glaube fast wenn ich nach Berlin käme, ich würde meinen Durst mit dem guten Berliner Weißbier stillen und einer von Deinen Berliner Weißbierphilistern werden, anstatt| in den kirchlichen Verhandlungen Deiner "Berliner Weißbierphilister" meinen engen "schwäbischen Horizont" zu weiten.

So gehe ich eben im nächsten Semester nach Tübingen, um dort nach Kräften die Aufgabe auszuführen, die dort meiner harrt. Wie bang mir ist und wie schwer ich an die Sache hinblicke habe ich Dir ja schon in Ha gesagt, als Du mir zusprachst nach T. zu gehen. Ich sehe etwas froher in die Zukunft, seit ich vorigen Montag in Tüb. war und mit Spatz besonders aber mit Beck Rücksprache nahm. Aber das ist ja nicht mehr als in der Ordnung, daß mir meine Schwäche u. das Gefühl meiner großen Verantwortung ins Bewußtsein kommt, wenn ich auf die stattliche Zahl meiner Füxe sehe und wenn ich mir sage, ihnen sollst du etwas bieten, ihnen sollst du etwas sein. Du sollst daran arbeiten daß sie zu innerlich und äußerlich selbständigen Menschen werden, daß sie mit sich ins reine kommen, Rückgrat bekommen, daß sie nicht vom Wind als| ein schwankend Rohr hin und hergetrieben werden. Daß sie Menschen werden, die auf die Frage: Wozu sind wir da? die richtige befriedigende Antwort finden, die sie dauernd befriedigt.

Wenn ich mir dieses überlege bin ich froh, daß ich ohne mein Zutun Tübinger Fuxm. geworden bin. Aber ich will meiner Aufgabe getrost und mit gutem Mut ins Auge sehen. Denn ich sage mir zum christlichen Charakter kann niemand den andern machen, vor allem darf sich ein Fuxmajor nicht als Schulmeister gegenüber den Füxen aufspielen, die z.T. viel älter sind und vor allem darf er sich nicht hoch über sie erhaben denken, sondern muß sie fühlen lassen, daß er einer ist, der mit ihnen fühlt, der mit ihnen kämpft, mit ihnen hinanstrebt zu der Wahrheit, die eine ist. Nicht daß wir es schon ergriffen hätten; ich möchte Dich allen Ernstes fragen, ob das einer von sich sagen könnte, er habe es ergriffen, er müßte ja höher als Paulus| sein. In dieser Beziehung verspreche ich mir für mich selber auch den höchsten Gewinn, wenn es mir gelingen sollte, den Füxen ordentlich nahe zu kommen und mit ihnen auf diese Weise zu arbeiten. Für "freundliche" Ratschläge in dieser Beziehung bin ich sehr empfänglich, denn ich weiß daß Du ein "freundliches" Herz auch gegen den neuen Tüb. XX hast. – An meinem Conch.argierten Gaiser hoffe ich einen Freund zu gewinnen, mit dem ich durch Dick und Dünn gehen kann. Das ist mir eine große Beruhigung. Ich habe ihn schon besucht.

Im übrigen wünsche ich Dir nochmals alles Gute für Dein neues Lebensjahr und verbleibe Dein
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