Brief von Johanna Tillich und Toni Winkler an Paul Tillich vom Juli 1906

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Misdroy, i. Juli 1906

lieber Paul,

Du wirst gewiß erstaunt sein, daß wir garnicht schreiben. Entschuldige nur, Du mußt immer denken, wir sind in Misdroy. Es ist sehr schön hier. Vor einigen Tagen hatten wir sehr stark bewegte See, wir waren auf der neuen sehr langen Seebrücke und konnten nun schön den Sturm auf der See beobachten.| Es kam grad ein Dampfer aus Heringsdorf, besetzt mit vielen seekranken Leuten – doch Du mußt alles selbst sehen! Sonst ist Misdroy eigentlich unverändert, nur sind viel mehr Concerte; ein Strandhotel, in d. Kaiserhallen, ein Kurhaus. Wir hören natürlich die Kurkapelle, die gut ist. Papa hat d. Dirigenten seine "Mondnacht" gegeben, vielleicht spielt er sie.| Herr Harder reiste Dienstag mit s. Frau nach Sassnitz. Es war eine schöne Zeit mit ihm zusammen. Er las uns ein sehr schönes Buch vor: Albin Indergand von Zahn, das mußt Du auch kennen lernen. Am Jordansee waren wir auch schon – unverändert schön.

In der nächsten Woche wollen wir uns mit Harders in Heringsdorf treffen. Wir liegen, u. lesen viel im Walde, vormittags natürlich am Strand am alten Platz,| wo wir zwei Strandkörbe haben. Heute ist Papa zum Iten Mal geradelt. Allzu gut geht es ihm noch nicht. Gestern haben wir gebadet, das war herrlich! Elisabeth pflückt Blaubeeren, die es wieder in Massen gibt.– Sonntag waren wir in der Kirche; die Predigt war schön.–

Rate, wer noch hier ist!! Mosenthins! Merkwürdiges Zusammentreffen: H. Harder, wir u. sie.–

Denke Dir, heute schrieb mir| Else Flittner, daß sie im Mai Steineck verkauft haben, da es Herrn F. zuviel Arbeit wurde und nach Berlin: Spichernstr. 15. gezogen sind! Das schöne Steineck! Doch freue ich mich.

Heute haben wir die Einladung zu Lucies Hochzeit erhalten, Du auch? Schmidts fühlen sich sehr wohl, besonders, da es keine Mücken gibt!– Hoffentlich geht es Dir gut; wann schreibst Du mir einmal??| Hoffentlch recht bald!

Nun leb' wohl. Herzliche Meeresgrüße vom schönen Ostseestrande!
Deine Schwester Johanna.

x. Papa hat einen Aufruf unterschrieben zur Begründung eines Tübinger Philisterverbandes.

Lieber Paul

heut ist ein Regentag, den kann man so recht benutzen, um Briefe zu schreiben. Es ist zwar trotz des Regens noch so schön, daß wir auch am Strand sein konnten. Es ist einfach herrlich hier, u. freuen wir uns Alle schon sehr auf Dein Kommen. Schreib nur recht bald und recht ausführlich, hoffentlich gehts Dir recht gut. Hat Herr Fritz an Weber meinen Gruß bestellt, u. erinnert er sich noch meiner?– Den kleinen Hauskoffer, den du, wenn du durch Berlin kommst mitbringen willst, steht in Deiner Stube auf dem Tisch. Ich habe Frau Eisfeld noch darüber Bescheid gesagt. Es liegen| auf dem Koffer 1 Nachthemd u. Unterhosen von Dir, falls Du hier noch etwas gebrauchst. Die schmutzige Wäsche läßt Du dann wohl gleich bei uns in unsrer Wohnung. Strümpfe findest Du hier vor. - Nun grüße ich Dich herzlich u. wünsche daß Du nicht zu viel arbeitest u. Dich recht erholst. Papa geht es leidlich der Schlaf ist immer noch nicht besonders, doch bekommt ihm die See gut, u. das ist die Hauptsache. Es ist sehr gemütlich bei uns im Thalhäuschen finde ich!!

Nun Gott befohlen D. tr. Tante Toni
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    • Zahn, Ernst, Albin Indergang, Huber, Frauenfeld 1901