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Es ist nicht Vergeßlichkeit oder Mangel an Treue, daß ich solange nichts habe von mir hören lassen, – vielmehr dies ständige In-Atem-gehalten-sein durch die politischen Ereignisse und das Schicksal des Landes, das alles andre immer wieder verdrängt. Bei mir ists eigentlich jetzt erst so weit, daß mir zum Bewußtsein kommt, wie diese Umwälzung auch einen Schnitt durch das eigne Leben gelegt hat, einen schmerzhaften Schnit Alle Freunde sind fort, und diese Gemeinsamkeit, die auch mich trug und hielt, zu Ende.

Nun will ich Ihnen endlich kurz erzählen, wie es mit mir steht. Ich sitze noch immer in Heidelberg und bin jetzt daran, eine erste prinzipielle Schrift über die deutsche Sozialversicherung, Kritik und Entwurf der Neugestaltung, fertigzustellen, die wohl noch dieses Jahr erscheinen wird. Die Details dieser Sache, die mich außerordentlich bewegt, kann ich Ihnen aber nicht gut in einem Brief sagen, weil dazu eine recht ausführliche Erörterung der politischen Umstände gehörte, vor allem der ,berufsständischen Idee‘ – es bedürfte dazu eines intensiven Gesprächs. Das Stipendium, das mir von der Notgemeinschaft zu diesem Zwecke gewährt wurde, läuft noch etwa dreiviertel Jahr. – Die Heideggerarbeit, die noch einmal ziemlich gründlich umgestaltet worden ist, wird bei Hirzel erscheinen, – man beginnt in diesem Tagen mit dem Druck. Die Fakultät schrieb mir, daß die Korrekturfahnen vom dem gegenwärtigen Ordinarius, Herrn Krieck, anstatt von Ihnen geprüft werden würden. Ich möchte aber Ihnen auch jeweils die Fahnen zuschicken, wenn es Ihnen recht ist. Frankfurt macht übrigens – ich war vorige Woche dort, auch auf der Universität – einen sehr verödeten Eindruck. Fräulein Siemsen ist die einzig Ueberlebende. Dr. Gehlen ist schon wieder abgereist, – die Kollegs sollen recht leer sein, und die Arbeitsgemeinschaften aus fachschaftlicher Initiative sind auch bisher noch gar nicht in Gang gekommen. – Daß Heidegger nach Berlin berufen ist, werden Sie sicher erfahren haben; man nimmt an, daß es sich nicht um einen gewöhnlichen Lehrstuhl, sondern eher um irgendeine neuartige Institution handeln wird, vielleicht so etwas wie Führerschule. Seine Entwicklung hat mich absolut nicht verwundert, – es ist alles durchaus konsequent.

Für meine eigne Zukunft denke ich nach wie vor an journalistische Aufgaben; ich stehe auch schon mit einer großen Zeitung in Verhandlung. Indessen steht das alles nun unter einem so anderen Stern, daß eigentlich andere Lösungen erheblich sinnvoller wären. Vielleicht entwickelt sich etwas aus der sozialpolitischen Arbeit. An eine Hochschulkarriere ist nun nicht mehr zu denken, meiner Ehe wegen.

Ich wäre sehr froh, auch von Ihnen ein wenig zu hören. Werden Sie lange dort oben bleiben? Werden wir uns wohl einmal wiedersehn?

Mit den herzlichsten Grüßen für Ihre Frau Gemahlin und Sie selbst, auch von meiner Frau
Ihr stets ergebener Dolf Sternberg
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