Brief von Eduard Schröer an Paul Tillich vom 23. Juli 1930

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Mühlhausen (Thüring.), den 23. Juli 1930
Allee Blobach 33

Hochgeehrter Herr Professor!

Auf den von Ihnen am gestrigen Tage durch den Deutschlandsender gehaltenen Vortrag: "Was ist religiöser Sozialismus" war ich sehr gespannt, als ich die Ankündigung im Programmheft gelesen hatte. Meine Erwartungen sind bei weitem übertroffen worden durch Ihre ganz hervorragenden Ausführungen über das behandelte Thema. Alles was Sie sagten, ist mir voll und ganz aus der Seele gesprochen und jeder rechtlich denkender Mensch müßte Ihre Worte als richtig und wahr anerkennen. Das ist die Religion, die die Menschheit haben sollte aber bisher nicht hat. Es ist wohl keine Täuschung von mir, wenn ich annehme, daß Sie evangelischer Theologe sind. Einiges über die noch nicht lange hervorgetretene Richtung habe ich schon gelesen, aber man bekommt ja derartiges nur selten zu Gesicht. Ich möchte deshalb die bescheidene Anfrage stellen, ob es wohl eine kleine Schrift gibt, in der die von Ihnen vertretenen Grundsätze niedergelegt sind. Als kleiner Beamter i.R. kann ich mir größere Werke leider nicht anschaffen, obwohl ich mich gern eingehend| auf diesen Gebieten unterrichten möchte: Jeden Ihrer Sätze hätte ich mir einprägen oder niederschreiben mögen, um ihn anderen Menschen zu wiederholen. Da ich dem Gemeindekirchenrat der hiesigen ev. Petersgemeinde angehöre, böte sich dazu wohl oft Gelegenheit. Wir hatten hier einen Geistlichen, der sich zwar offiziell nicht als religiöser Sozialist bekannte, es aber in Wirklichkeit wohl war: Pfr Walter Kawerau, der nach 1 1/2 Jahren von hier nach Halle (Saale) als Pfarrer einer dortigen Gemeinde ging. Er war durch seinen Schwager, Pfr Amsler in Bern oder Zürich (Schweiz) beeinflußt, der wohl auch ein hervorragender Theologe, vor einigen Jahren in Italien im Seebad plötzlich starb. Den Weggang des Pfr Kawerau habe ich sehr bedauert. Da wir hier in der Gem. 2 Geistliche haben, stehen wir jetzt schon wieder vor einer Pfarrerwahl. Da habe ich nun noch eine weitere große Bitte und Anfrage: Könnten Sie mir vielleicht einen jüngeren Pfarrer nennen, der in Ihrer Richtung steht und geneigt wäre, hierher zu kommen. Er könnte hier in unserer K.-Gemeinde von etwa 10000 Seelen, die als Vorstadtgemeinde viel Arbeiterbevölkerung hat, großen Segen stiften. Wenn sich ein solcher Herr hierher melden würde, so würde ich mit Hilfe| einiger Gesinnungsgenossen alles versuchen, um seine Wahl durchzusetzen. Zunächst würde es genügen, mir die Anschrift eines solchen Herrn mitzuteilen. Der andere hier noch vorhandene Geistliche ist auch sehr guter Kanzelredner und auch ein ausgezeichneter Mensch, in der Richtung aber doch noch zu sehr im Überlieferten befangen. Damit muß aber doch mehr und mehr aufgeräumt werden, wenn wir in der wahren Religion vorwärts kommen wollen.

Verzeihen Sie, hochgeehrter Herr, daß ich es wage, Sie mit meinem Schreiben zu belästigen. Es wäre mir aber so sehr lieb, zu einer, am liebsten aber zu beiden Fragen von Ihnen eine Antwort zu erhalten.

In dieser Erwartung zeichne ich mit vorzüglicher Hochachtung ganz ergebenst
Eduard Schröer Oberpostsekretär i.R.
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    • Tillich, Paul, Was ist religiöser Sozialismus? Rundfunkvortrag beim "Deutschlandsender" am 22. Juli 1930.