|
Collinghorst, 19 August 1907.

Liebes Paulchen!

Die Frage, ob ich im nächsten Semester nach Berlin komme, kann ich Dir jetzt noch nicht beantworten. Die Entscheidung darüber ist wesentlich davon abhängig, was aus meinen Arbeiten in den Ferien wird, und daß ich es darin bis jetzt allzuweit gebracht hätte, kann ich gerade nicht behaupten. Daß erklärt sich aber daraus, daß ich erst am letzten Donnerstag im vielgeliebten Ostfriesland angelangt bin, nachdem ich mich bis dahin in Osnabrück auf| gehalten hatte. Während ich dort die Zeit dazu benutzt habe, meine stenographischen Kenntnisse etwas zu vervollkommnen, wird es hier zunächst meine Aufgabe sein, mich in die Geheimnisse der Steuernagel'schen Grammatik zu vertiefen. Daß ich aber auch noch an andere Arbeiten denke, davon können die Bücher Zeugnis ablegen, die ich mitgebracht habe. Hoffentlich kann ich Dir bald von einer dementsprechenden Tätigkeit berichten. – Unterhaltungslektüre hat mir unsere Hallenser Wingolfsbibliothek geliefert, deren Katalog mich übrigens bis hierher begleitet hat. Als erstes Buch davon | nahm ich gestern die "Skizzen aus unserm heutigen Volksleben" von Fritz Anders zur Hand, und die Erzählung, die ich gleich zu Anfang des Buches las, betitelt sich, wie Dir vielleicht bekannt ist: "Der Herr Paragraphendirektor". Dies allein genügte schon, um mir Deine holde Persönlichkeit vor die Augen treten zu lassen, und es fiel mir dabei wieder ein, daß der 20. August Dein Geburtstag ist, und daß ich Dir versprochen hatte, an diesem Tage ein Lebenszeichen von mir zu geben. So soll dieser Brief denn Dir zugleich meine herzlichsten Glückwünsche für das kommende Lebensjahr übermitteln, vor allem wünsche ich | Dir, daß Du dich in der nächsten Zeit ordentlich erholen mögest von den Strapazen des letzten Semesters. Die Ostseeluft hat Dir in dieser Beziehung sicherlich gut getan, wenn ich auch nicht daran zweifle, daß die Nordseeluft dir dieselben Dienste leisten würde. Jedenfalls wäre in diesem Herbste ein Aufenthalt in Ostfriesland sehr lohnend. Unser Garten stellt eine Fülle von Obst in Aussicht, und diese Hoffnung ist ganz dazu angetan, mir die Ferien möglichst angenehm zu machen. Was ich aber in und nach diesen Ferien treiben werde, darüber ein anderes Mal.

Für diesmal verbleibt mit herzlichem Gruße Dein getr. Chans, Cfx, Cfan, Clandi
    Entität nicht im Datensatz vorhanden

    Personen:

    Orte:

    Literatur:

    • Anders, Fritz, Skizzen aus unserem heutigen Volksleben. Zweite Sammlung, Berlin: Grunow, 1899. 
    • Steuernagl, Carl, Hebräische Grammatik mit Paradigmen, Literatur, Übungsstücken und Wortverzeichnis, 2 überarbeitete Auflage, Berlin: Reuther & Reichard, 1905.